Grußwort des Präsidenten für Horst Bredekamp anlässlich seines 60. Geburtstages
5. Mai 2007
Über Horst Bredekamp, lieber Horst Bredekamp, etwas zu sagen, was hier
im Saale nicht seit Jahren längst alle wissen, oder was KLM – Krull,
Macho, Labuda – gleich noch sagen werden, ist nicht ganz einfach.
Außerdem wäre ein langweiliges Grußwort für einen so originellen
Zeitgenossen, für einen Menschen, der beständig neue Ideen hat, ein
wahrhaft barbarisches Geburtstagsgeschenk, ein elendes Zeichen eines
dramatischen Verfalls derjenigen Universität, die Horst Bredekamp so
sehr am Herzen liegt und für die er sich seit vierzehn Jahren wie kaum
ein anderer eingesetzt hat. Ich gestehe Ihnen, verehrte Damen und
Herren, gleich zu Beginn, daß mir der angesichts dieses klugen
Auditoriums und dieser ausgesuchten Gästeschar höchst prekäre
Originalitätswert eines präsidialen Grußwortes erhebliche Sorgen
gemacht hat, solche Sorgen, daß heute mittag ein weiteres
Geburtstagsessen – nämlich das meines eigenen Vaters – nahezu
ausschließlich Person und Œuvre Horst Bredekamps gewidmet war und
Eltern, Bruder samt Freundin und Ehefrau bei feinsten Hechtklößchen mit
großem Nachdruck um Ideen für die eigene Ansprache gebeten wurden.
Natürlich: Nicht alle Anregungen der versammelten Kompetenz von einem
Literaturwissenschaftler-, Kunsthistoriker- und Theologenpaar waren
wirklich verwertbar. Daß meine Mutter noch heute von einem
Bredekampschen Vortrag über Himmelskörper begeistert ist, den sie vor
Jahren gehört hat, sagt allerlei über die Wirkungen seiner ziselierten
Texte – aber es sind ja wohl nicht zuletzt eben diese Wirkungen, von
denen wir alle zehren, sonderlich originell ist meine Mutter da also,
mit Verlaub, nicht. Mein Bruder erzählte, während Mailänder
Kalbsröllchen serviert wurden, eine nette Anekdote: Man habe 1992 zu
Bonn am Rhein geglaubt, Horst Bredekamp zur Annahme eines Rufes auf das
dortige Ordinariat locken zu können, indem man ihn während der
Verhandlungen auf die vollständigen Bestände der „Stimmen aus Maria
Laach“ in der Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität hinwies. Das wird zwar
mutmaßlich nicht jeder hier im Saal wissen – aber angesichts des
schroff ultramontanen Profils der „Stimmen“ zweifelt der Historiker
Markschies erstens ein wenig am Quellenwert der Anekdote des
Kunsthistorikers Markschies und zweitens ist uns allen ja klar, daß
schon in der Marburger Dissertation über „Bilderkämpfe von der
Spätantike bis zur Hussitenrevolution“ eine abundante Menge von Quellen
zitiert wird und das ist bis auf den heutigen Tag ja auch so geblieben,
Thomas Hobbes, Gottfried Wilhelm Leibniz, Charles Darwin. Die Freundin
meines Bruders, als Mitarbeiterin der Staatlichen Museen mit der
Vorbereitung großer Ausstellungen beschäftigt, riet, auf die große
Ausstellung „Wunderkammern des Wissens – Theatrum Naturae et
Artis“ hinzuweisen, in deren Rahmen im Jahre 2001 im Gropiusbau
die Sammlungen der Humboldt-Universität präsentiert wurden – aber durch
die neue Debatte über das Humboldt-Forum, die seit reichlich zwei
Wochen tobt, ist ja nun auch dem Letzten klar geworden, daß eben diese
Idee Horst Bredekamps, Universität und Museum zu einer Einheit
verbinden, die von vielen so lang gesuchte gemeinsame Leitidee für die
Bebauung des Schloßplatzes darstellt. Also auch nicht gerade ein
Zeichen sonderlicher Originalität, dies in den Mittelpunkt präsidialer
Begrüßung zu stellen.
So entschloß ich mich während der vorzüglichen Rhabarbercreme an
Erdbeeren, die als Nachspeise beim Geburtstagessen meines Vaters
serviert wurde, vielleicht doch meinen Geburtsgruß für Horst Bredekamp,
das präsidiale Geburtsgrußwort nicht mit geborgten Ideen von
Literaturwissenschaftlerinnen und Kunsthistorikern zu bestreiten,
sondern aus dem Eigenen, als Theologe im Präsidentenamt. Und schritt
mit vollem Bauch die Regale der eigenen Bibliothek ab und die Kästen
mit den Sonderdrucken – und begriff erneut, lieber Herr Bredekamp, daß
Sie in den vergangenen vierzehn Jahren hier in Berlin und davor in
Marburg, Frankfurt und Hamburg ja nicht nur die Kunsthistoriker das
Sehen gelehrt haben. Sondern auch uns Theologen. Wer kannte denn noch
Ferdinand Piper, selbst an dieser Universität, an der Piper 1842
außerplanmäßiger Professor wurde und an der er 1850 das
christlich-archäologische Museum gründete? Bredekamp hat 1978 Pipers
„Einleitung in die Monumentale Theologie“ von 1867 der Vergessenheit
entrissen, ihren Nachdruck kundig eingeleitet und mit neuen Registern
versehen; lange Jahre vor dem Wechsel nach Berlin also das Thema der
Berliner Universitätssammlungen wieder auf die Tagesordnung gesetzt und
einer am Wort orientierten evangelischen Theologie das Bild auf die
wissenschaftliche Agenda gesetzt. Der zu Unrecht vergessene Piper als
ein hoch interessanter Gegenentwurf zum Konfessionalismus der Fakultät
Marheineckes, als idealistischer Gegenentwurf zum Historismus der
preußischen Schule, als beachtenswerte Individualität jenseits des
Mainstreams – in dem Einsatz für den Berliner Extraordinarius Ferdinand
Piper ist viel von Bredekamps wissenschaftlicher Leidenschaft, von
seinem wissenschaftlichen Programm zu spüren. Mancher Text, mancher
Aufsatz, manches Buch wäre aus der Perspektive des Theologen noch
hervorzuheben: Von der Dissertation „Kunst als Medium sozialer
Konflikte“ war schon die Rede, sie enthält viele Kostproben
Bredekampscher Beschreibungskunst, beispielsweise mit der sensiblen
Analyse des Grundrisses der Prager Bethlehemkapelle als eines
‚antiliturgischen und antikatholischen Körpers’, nun wäre Vieles aus
den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu nennen, ich erwähne lediglich
das wunderbare Kapitel über den ‚freskierten Nepotismus’, über Melozzo
da Forlis vatikanisches Bibliotheksfresko im Buch über Sankt Peter und
– gerade frisch publiziert: „Vom Birett zum Camauro“, tiefsinnige
Bemerkungen zu Gestalt und Präsentation päpstlicher Kopfbedeckung samt
den Rückschlüssen, die aus all’ dem über die Theologie des Papstamtes
zu gewinnen sind. Wenn der Kunsthistoriker dem Theologen vorführt,
welche Beiträge seine eigene Wissenschaft zu einer erneuerten
Bildwissenschaft zu leisten hätte – ja, meine Damen und Herren, dann
wird der Theologe stumm.
Aber eines muß er vor dem Verstummen noch sagen. Zwei Sätze Horst
Bredekamps sind mir aus vielen, für die ich dankbar bin, besonders tief
in Erinnerung. „Ich bin metaphysisch erschüttert“, hat er vor reichlich
einem Jahr zu mir, angesichts einer schroffen Kritik an einer seiner
Bücher. Und vor wenigen Tagen hat er einer Gruppe von
Nachwuchswissenschaftlern, die unter seiner Leitung arbeitet,
bescheinigt, die Zusammenarbeit sei von „metaphysischer Qualität“
gewesen. Als Theologe, meine Damen und Herren, meint man zu wissen, was
das sei: Metaphysik. Und ahnt, probeweise jene Bedeutung auf diese
Sätze applizierend, es sei nicht ganz die Bedeutung, in der Horst
Bredekamp das nämliche Wort verwendet. Wenn ich recht sehe, meint
metaphysische Erschütterung wie metaphysische Dichte der Zusammenarbeit
ein Phänomen, daß nicht draußen, an der Oberfläche oder gar in der
beobachteten Natur bleibt, sondern danach, dahinter blicken läßt, auf
der eigenen Haut brennt, in der eigenen Seele zu spüren ist. Und so
scheint mir dann, in eben dieser besonderen Verwendung eines
etablierten Begriffs der alteuropäischen Tradition hätten wir wieder
sehr viel von dem wie unter dem Brennglas in den Blick genommen, was
den Jubilar auszeichnet, womit er uns so wunderbar anregt und was er
der Humboldt-Universität zu Berlin mit solcher Intensität schenkt. Sie
dankt ihm dafür – lieber Herr Bredekamp, ich danke dafür. Sehr
tief.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität