Humboldt-Universität zu Berlin

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Ansprache zum zwanzigjährigen Jubiläum des deutschen Herzzentrums Berlin am 11.5.2006

Herr Bundespräsident,
Herr regierender Bürgermeister,
Frau Senatorin,
lieber, verehrter Herr Kollege Hetzer,

in der Antike, mit der ich mich beschäftige, wenn ich nicht gerade die Humboldt-Universität zu Berlin leite, galt das Herz als Sitz der Empfindungen und Gefühle – und zwar unabhängig davon, ob wir auf den jüdisch-christlichen oder den heidnisch-griechischen Kulturkreis blicken: Homer verwendet die griechischen Äquivalente für das deutsche Wort „Herz“ für den Sitz der Gefühle, von Angst, Trauer und Freude, aber auch von Begierden und Leidenschaften. Die Anatomie dieses Organs interessierte ihn wie überhaupt alle seine Zeitgenossen nicht. Und das hebräische Wort für Herz bedeutet, auf seine Wurzel zurückgeführt, „der zuckende, pumpende Körperteil“, aber auch das antike Judentum interessierten keine anatomischen Details, sondern nur die Gefühle des Herzens, die das menschliche Lebensprinzip bilden. Es war interessanterweise ein hellenistischer Philosoph, nämlich Aristoteles, der erstmals von Herzkammern sprach und im Herzen den Ursprung des Blutes lokalisierte; auf ihn folgende griechische Mediziner beschrieben schon sehr präzise die muskulöse Struktur des Herzens, Kammern, Vorhöfe, Klappen und Pumpvorgänge. Ein Herzzentrum wurde damals gleichwohl nirgendwo eingerichtet, unter anderem auch deswegen, weil man ganz selbstverständlich annahm, das Herz sei aufgrund seiner festen Materialstruktur besonders robust und könne nicht wirklich erkranken. Daß es gar zu einem Herzinfarkt kommen könne, hat man in Antike nicht für möglich gehalten. So sehr ich die Antike liebe und so gern ich mich – Sie haben es gemerkt – mit antiker Medizin beschäftige – so glücklich bin ich doch über den Fortschritt der Wissenschaft und die zunehmende Ausdifferenzierung der Disziplinen. Für Gefühle wie Angst, Trauer und Freude sind längst eigene Wissenschaftsbereiche zuständig und Sie hier im Herzzentrum wissen nur zu gut, daß ein Herz zwar tatsächlich ziemlich robust ist, aber man darauf achten muß, es nicht über Gebühr zu beanspruchen. Ihre spektakulären Transplantationserfolge wären ohne vertiefte Einsichten in seine Materialstruktur kaum möglich gewesen. Und doch haben Sie sich von Anfang an besonders um die Betreuung der Kranken in einer Weise bemüht, die seinerzeit noch keineswegs selbstverständlich war und sich am Hotelgewerbe orientierte, vor allem in der Kinderkardiologie – und so scheint mir, daß Sie die alte Einsicht, daß das Herz und allzumal seine Erkrankungen etwas mit Angst, Trauer und Freude zu tun haben, ungeachtet aller Differenzierung der Wissenschaften nicht den Psychologen oder meinetwegen den Theologen überlassen haben: „Jeder Patient … hat Anspruch darauf, unser umsorgter Gast zu sein“, heißt es in ihren Behandlungsleitsätzen.

Auch wenn Sie, lieber Herr Kollege Hetzer, mit dafür verantwortlich sind, daß das sogenannte Hirntodkriterium die alte Definition des Herztodes abgelöst hat (wie könnte sonst transplantiert werden) – in gewisser Weise gilt nach wie vor die antike Einsicht, daß das Herz das Zentrum unserer Lebenskräfte bildet. An diesem Zentrum arbeiten Sie und ihre Mitarbeiter hier in diesem Zentrum und dafür sind wir alle Ihnen unseren tiefen Dank schuldig, ganz egal, wie robust unsere eigenen Materialien in diesem Körperbereich sind. Und ich verbinde diesen tiefen Dank für Ihre Arbeit mit den herzlichsten Glückwünschen zum Jubiläum und vor allem für eine großartige Zukunft.