Humboldt-Universität zu Berlin

Humboldt-Universität zu Berlin | Über die Universität | Geschichte | Rektoren und Präsidenten | Christoph Markschies | Reden des Präsidenten | Grußwort anläßlich der Eröffnung des Interdisziplinären Zentrums für sprachliche Bedeutung der Humboldt-Universität zu Berlin, 26.10.2006

Grußwort anläßlich der Eröffnung des Interdisziplinären Zentrums für sprachliche Bedeutung der Humboldt-Universität zu Berlin, 26.10.2006

„Sie verdrehen die Worte. Sie sprechen/ In Rätseln und prahlen/ Mit gesuchten Metaphern“. Natürlich, meine Herren Kollegen Prömel und Dietrich, verehrte, liebe Damen und Herren, auch das ist jener Durs Grünbein, den wir eben schon zur Eröffnung des Zentrums gehört haben, „In eigener Sache“ ist das Gedicht überschrieben. Wer es nicht weiß, nie wußte, wissen wird oder im alltäglichen Einerlei von Sprache längst vergessen hat, im Gewäsch der Beliebigkeit verträumt, mit seiner in Anglizismen und Stilbrüche zerbröselnden Wissenschaftssprache verlernt hat – was Sprache ist, kann, sein könnte, mithin sprachliche Bedeutung zu erforschen, tut Not und frommt, wenn Sie mir diese etwas gesuchte Sprache gestatten. Noch einmal Durs Grünbein: „Der Mensch spricht wie er lebt –/ Weiß ein griechisches Sprichwort“ und „… Der Gedanke/ Hängt wirr in der Luft“. Dazwischen lebt Sprache, jedenfalls an einer Universität.

Wer wie ich Sohn einer Generation von Germanisten ist, die noch persönlich von Hermann August Korff und Emil Staiger die Vorbehalte gegen die Linguistik eingeimpft bekommen hat, und wen es als Kirchenhistoriker an die Spitze der alma mater Berolinensis verschlagen hat, nähert sich der sprachlichen Bedeutung, die unser neues Zentrum erforschen wird, wenn ich das so unumwunden sagen darf, mit Jürgen Trabants Auswahlbändchen Humboldtscher Akademiereden in der Hand: „Über die Sprache“. Anders formuliert: Wenn ich vom Zentrum der Humboldt-Universität lese, daß Sie, meine Damen und Herren, sich der Situationsbezogenheit des Aufbaus und der Bedeutung von Sätzen widmen und widmen wollen, dann fühle ich mich an Wilhelm von Humboldts Reden vom „feingewebten Organismus“ der Sprache erinnert, an seine Hinweise auf die Lebendigkeit der Sprache als Zeichen einer Individualität, die freilich im Kontext einer ganzen Kultur und ihrer Entwicklung steht (aaO., 11-15: Ueber das vergleichende Sprachstudium, 1820). Also halte ich als erstes fest, daß ein „Zentrum für sprachliche Bedeutung“ an der Humboldt-Universität zu Berlin eine überaus zeitgemäße Adaption von Grundintentionen unseres Namenspatrons Wilhelm von Humboldt ist.

Aber rasch noch ein Zweites hinterher: Selbst einem Kirchenhistoriker im Präsidentenamt, in dessen antiken christlichen Quellen oft gerade einmal zwischen Wort und Sache unterschieden wird und die nominalistische Grundeinsicht, daß bestimmte Worte bloße Bezeichnungen ohne unabhängige Existenz sind (Eunomius bei Cyrill, thes. PG 75, 325 A), tiefe trinitätstheologische Kontroversen nach sich zieht, selbst einem so geprägten Kirchenhistoriker ist deutlich, daß die Forschungen im Zentrum für sprachliche Bedeutung wie die ganze Linguistik nicht beim vergleichenden Sprachstudium der Gebrüder Humboldt stehengeblieben sind. Wie heißt es so schön auf Ihrer Homepage: „Infolge einer verstärkten Hinwendung der Logik und Mathematik zur Sprache und der Psychologie zu Phänomenen des Wissens und des Denkens und gebahnt durch Methoden der maschinellen Sprachverarbeitung sowie die großen Entdeckungen der Neurologie wird die Beutungsseite der Sprache seit rund zwanzig Jahren unter einander ergänzenden Blickwinkeln geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen analysiert und theoretisch erfaßt“. Nur schüchtern merke ich Laie auf allen diesen Feldern an, daß Sie da – also in der Kritik an der traditionellen Erforschung der Sprache in der Tradition Humboldts schon wieder bei einem Ideal von Wissenschaft in der Tradition der nämlichen Brüder gelandet sind, der jedenfalls zeichenhaften Erneuerung des alten und von manchem klugen Wissenschaftstheoretiker verlachten Ideal der Einheit der Wissenschaft.

Auf der Homepage des interdisziplinären Zentrums für sprachliche Bedeutung fand ich – oder, wenn ich ehrlich sein soll, meine Referentin, denn ich habe diesen Satz heute morgen auf der Homepage nicht gefunden, aber dafür hat man ja Referentinnen – fand ich also folgenden schönen Satz: „Wer die Bedeutung eines Satzes versteht, sollte die Umstände in der Welt angeben können, unter denen der Satz wahr ist“. Gestatten Sie dem linguistischen Laien im Präsidentenamt, zum Abschluß seines Grußwortes ein wenig zu träumen: Wenn es gut geht mit Ihrem Zentrum für sprachliche Bedeutung, dann wird die dort betriebene Forschung Brückenfunktionen zwischen den in ihrer perniziösen Spezialisierung isolierten Disziplinen haben. Wenn Sie über Bedingungen der Wahrheit von Sätzen nachdenken, schlagen Sie Brücken zu den Philosophen, wenn Sie über die individuellen Bedingungen der Produktion von Sprache nachdenken, zu den Neurologen und Psychologen, wenn Sie – herrlich altertümlich – „Methoden der maschinellen Sprachverarbeitung“ benutzen, solche zu den Informatikern und so weiter und so fort. Und wenn trotz aller Bedeutung, die der Computer und die Simulation von Sprache durch den Computer in Ihrer Disziplin gewonnen haben, Theodor Fontane weiter recht hätte mit seinem Satz, „Das menschlichste, was wir haben, ist die Sprache“, dann wäre auch die Linguistik ein möglicher Teilbereich jener integrativen Form Lebenswissenschaft, deren Bedeutung an dieser Universität ich mir zu steigern felsenfest vorgenommen habe.

Interdisziplinarität, Lebenswissenschaft, Exzellenz – Worte, die die einen in diesen Wochen ständig im Munde führen und die anderen schon nicht mehr hören können, abgenutzt, verbraucht, eben jene bröselnde Sprache des Wissenschaftsmanagements, Rhetorik derer, die hoffentlich allerlei von Administration, aber eher wenig von Wissenschaft verstehen. Oder, um noch einmal Durs Grünbein das Wort zu geben: „Machen ist – das tyrannische Verbum,/Das Modewort unserer Zeit./ Der größte Unsinn macht Sinn“. Nun machen Sie etwas, meine Damen und Herren, wenn Sie ein Zentrum etablieren und dafür gebührt Ihnen die Anerkennung der ganzen Universität und nicht der leise Spott intellektuellen Zauderns, aber wenn Sie wie Durs Grünbein kritisch über die Bedeutung von Sprache nachdenken, unser alltägliches Reden auf den Prüfstand stellen, dann stellen Sie zugleich auch sicher, daß in diesen heiligen Hallen nicht unkritisch irgend etwas gemacht wird, Sinn und Nutzen lediglich behauptet werden, sondern auf die Umstände geachtet wird, unter denen unsere wissenschaftlichen wie wissenschaftspolitischen Sätze wahr sind.

Der Theologe fragt sehr großflächig: „Was ist Wahrheit?“; Sie fragen etwas bescheidener: „Was sind die Umstände, unter denen gilt: Das ist Wahrheit?“; vermutlich ist es einfacher, die Form der Frage zu beantworten, die Ihre Disziplin stellt, essentiell für eine Universität sind freilich beide Formen, damit der Gedanke nicht wirr in der Luft hängt und das Geplapper überhand nimmt, die verdrehten Worte und die gesuchten Metaphern. Ich wünsche dem neuen Zentrum für sprachliche Bedeutung, und damit Ihnen allen, die daran mitwirken, viel Erfolg, spannende wissenschaftliche Ergebnisse und überhaupt gutes Gelingen.

 

Zitate von Durs Grünbein aus dem Gedicht „In eigener Sache“: ders., An Seneca. Postscriptum (Bibliothek der Lebenskunst), Frankfurt/Main 2004, 55.

Kontakt

Abteilung Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement (VIII)

Online-Redaktion

E-Mail: hu-online@hu-berlin.de