Humboldt-Universität zu Berlin

Amtseinführung von Generaldirektor Prof. Dr. Leinfelder

(Montag, 13. Februar 2006)

„Metamorphose“, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Herr Staatssekretär, liebe Frau Kuratoriumsvorsitzende, lieber Herr Eckey, Exzellenzen, Spectabilitäten, Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, meine Damen und Herren, „Metamorphosen“ überschreibt die Einladung des Präsidenten der Humboldt-Universität unseren heutigen Festakt zur Amtseinführung des neuen Generaldirektors des Museums für Naturkunde. Ich gestehe ebenso gern wie ehrlich, daß die Idee, diese Veranstaltung „Metamorphose“ zu überschreiben, nicht von mir stammt, aber unmittelbar einleuchtet: Metamorphose allerorten, möchte man im Blick auf das Museum formulieren, überall Veränderung und Verwandlung in eine andere Gestalt. Der berühmte Sauriersaal eingerüstet, die Saurier eingemottet; eine neue Struktur auf dem Wege und die alte in Transformation begriffen und nicht zuletzt: ein neuer Generaldirektor, der erste seit Gründung des Hauses als Anatomisch-Zootomisches, Mineralogisches und Zoologisches Museum vor fast zweihundert Jahren. Ein Altertumswissenschaftler, wie ich es bin, denkt bei dem Stichwort „Metamorphose“ in Zusammenhang mit dem anderen großen Begriff „Naturkunde“ natürlich zunächst einmal an Aristoteles und vermutet, der Begriff sei ein Schlüsselbegriff der klassischen griechischen Naturphilosophie von Anfang an. Doch, meine Damen und Herren, weit gefehlt: Kein einziger Beleg im Corpus Aristotelicum, erst in der römischen Kaiserzeit kommt der Begriff am Rande der platonischen Philosophie häufiger vor. So heißt in einem kaiserzeitlichen Traktat, das geistige Sein bewege durch das Licht der Sonne die gesamte Natur „durch Werden und Wandel“, durch metapoíesis und metamórphosis (CH XVI 8). Kluge antike Naturwissenschaftler haben solche Texte eher mit spitzen Fingern angefaßt und den Begriff „Metamorphose“ vermieden. Das hat sich natürlich längst geändert, auch im Hause des Theologen stehen biologische Lexika, denen er entnehmen kann, daß „der Begriff Metamorphose … in der Zoologie Formwandel eines Organismus im Laufe seiner Individualentwicklung“ bedeutet und daher an verschiedensten Stellen in den Naturwissenschaften verwendet wird.

 

Was lernen wir daraus für unsere Feier heute abend, zu der auch ich Sie alle herzlich im Namen der Humboldt-Universität zu Berlin begrüße? Man muß kein Geologe und Paläontologe sein – wie Reinhold Leinfelder es ist, zu dessen Einführung wir uns hier versammeln –, man muß also kein Geologe und Paläontologe sein, kein Mineraloge, kein Zoologe, um sich für Metamorphosen zu interessieren, für die Metamorphosen des Museums für Naturkunde und für die Metamorphosen der Natur, die im Hause nebenan ausgestellt und erforscht werden. Ich begrüße Sie also alle, weil ich annehme, daß Sie zu dieser disziplinenübergreifenden Schar der Freunde der Metamorphosen gehören und wünsche Ihnen und uns allen einen rundherum erfreulichen Abend voller Abwechslungen, oder sagen wir ruhig noch einmal: voller Metamorphosen.

 

(folgen weitere Grußworte)

 

Der Ablaufplan dieser Veranstaltung, meine Damen und Herren, weist mir an dieser Stelle rund zehn Minuten zu, um etwas „Programmatisches“ zu erklären und Sie ahnen, daß ich angesichts der Kürze der Zeit bereits die fünf Minuten, die ich vorhin zur Begrüßung gesprochen habe, für ein eher programmatisches Exposé genutzt habe: So, wie uns alle die Metamorphose des Naturkundemuseums angehen sollte, geht uns alle die Metamorphose der Natur an, egal, ob wir wie Leinfelder Geologen und Paläontologen sind oder wie der hier sprechende Präsident Ordinarius für ältere Kirchengeschichte. Allzumal geht die Metamorphose der Natur eine Universität in der Mitte der Stadt an, geht die alma mater Berolinensis an.

 

Mir ist durchaus bewußt, daß ich – wenn ich so rede – einen Fachterminus der Biologie, der Zoologie (wie es sich für den bildungswilligen, aber noch unkundigen Geisteswissenschaftler gehört) nicht ganz präzise verwende. Ich nehme den Begriff „Metamorphose“ vielmehr als einen Terminus, mit dem ich zu beschreiben versuche, was einen Geisteswissenschaftler an der Entwicklung des Lebens interessiert, an der Evolution. Diese Evolution vermessen Sie, lieber Herr Leinfelder, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses wie einst Aristoteles an einer kleinen Meeresbucht vor Athen hier in Berlin-Mitte gleichsam als „Vermessungsingenieure der Evolution der Erde und des Lebens“. „Evolution der Erde und des Lebens“ – so heißt es auf der Homepage des Naturkundemuseums, weil diese biologische Großtheorie bekanntlich in der englischsprachigen Geologie des achtzehnten Jahrhunderts als Synthese konkurrierender Modelle vorbereitet wurde. Mit ihren Vermessungsarbeiten der Evolution der Erde und des Lebens leistet das ganze Naturkundemuseum einen kaum zu überschätzenden Beitrag zu einer Lebenswissenschaft, die als Integrationswissenschaft zwischen Geistes- und Naturwissenschaften im Mittelpunkt meiner eigenen Vision von der Zukunft unserer Humboldt-Universität steht. Und Sie, lieber Herr Leinfelder, machen uns auch alle darauf aufmerksam – ich sage das übrigens auch bewußt als evangelischer Theologe – daß wir uns in allen Wissenschaftszweigen werden mit der Evolution beschäftigen müssen, wenn denn der berühmte Satz gilt: „Nichts in der Biologie macht Sinn, außer im Lichte der Evolution“ – und er gilt ja. Mein verehrter Kollege Detlev Ganten hat vor einiger Zeit formuliert, daß schon deswegen in der Medizin der evolutionären Betrachtungsweise in der Medizin größere Beachtung zukommen müsse und die mechanisch-funktionelle Betrachtung zurücktreten werde. Man muß sein Plädoyer für einen Wechsel der Betrachtungsweise dahingehend ausweiten, daß die innere Einheit der Lebenswissenschaften, vor allem dann, wenn man sie wie ich als Integrationswissenschaft zwischen Natur- und Geisteswissenschaft begreift, durch den Evolutionsgedanken konstituiert wird.

 

Den Geisteswissenschaftlern mutet eine solche Fundamentalisierung des Evolutionsgedankens Einiges zu – natürlich nicht deswegen, weil einige unverbesserliche Fundamentalisten Widersprüche zwischen Religion und Evolution konstruieren, sondern deswegen, weil auch in den Geisteswissenschaften funktionelle Betrachtungsweisen dominieren, allzumal nach dem endgültigen Zerbröseln des ontologischen Paradigmas im zwanzigsten Jahrhundert und der scheinbaren Alleinherrschaft des Konstruktivismus in vielen Wissenschaftsbereichen. Aber muß einen Geisteswissenschaftler nicht die Metamorphose im strengen biologischen Sinne des Wortes schon deswegen interessieren, weil sie eine Grundvoraussetzung jeder Entwicklung von Individualität ist und wir damit etwas schlechterdings Basales für die Ausbildung und Bewahrung von Kultur in den Blick genommen haben? Müssen wir uns nicht für die Emanzipation des Phänotyps vom Genotyp interessieren, um die Entwicklung der Menschheit als Geschichte fortwährend gesteigerter Individualisierung zu begreifen? Jüngst hat Horst Bredekamp in einer Monographie vorgeführt, wie durch eine schlichte Analyse von Federzeichnungen Darwins die tiefen Probleme jahrhundertealter Modellbildungen für verschiedenste Formen von Entwicklung schlagartig deutlich werden: Wenn also mit der Baummetapher die Arbor Poprhyriana in der Zoologie im Grunde ausgedient hat, obwohl immer noch das Modell eines „Baumes des Lebens“ verwendet wird, müssen wir nicht auch einmal die anderen Großbereiche überprüfen, in der wir die Arbor Porphyriana gern verwenden – beispielsweise die philosophische und mathematische Logik?

 

Nun betrifft das Paradigma der Evolution keineswegs allein die Geisteswissenschaften und die Lebenswissenschaften im engeren Sinne, also Biologie und Medizin. Indem ich den Terminus „Metamorphose“ für eine Charakterisierung der Evolution verwende, habe ich implizit auch eine Einsicht vorausgesetzt, die gerade hundert Jahre alt gewirden ist: Auch das Universum als Ganzes ist nicht unwandelbar, wie Geologen und Biologen im neunzehnten Jahrhundert dachten; wer es, wie anfangs Einstein, statisch zu beschreiben versucht, scheitert. Auch hier wird man sinnvollerweise mit dem Paradigma der Evolution, näher einer kosmischen Evolution arbeiten, in der Kontingenz und gesetzmäßige Regularität interagieren. Eine solche Erinnerung an vergleichsweise triviale Einsichten der Physik, die nach einem Einstein-Jahr zudem einer größeren Zahl von Menschen selbstverständlich sein dürften, macht deutlich, daß eine Lebenswissenschaft nicht ausschließlich als enge Verbindung von Medizin und Biologie konstruiert werden kann, sondern gerade wenn sie am Leitgedanken der Evolution orientiert ist, die Mithilfe vieler Disziplinen braucht, beispielsweise eben auch die der Physik, konkret gesprochen, die Mitarbeit unserer Adlershofer Naturwissenschaften.

 

Ich breche an dieser Stelle ab, weil ich hoffe, auch mit diesen wenigen Beispielen gezeigt zu haben, daß Detlev Gantens Votum für eine energischere Berücksichtung des Paradigmas der Evolution keineswegs allein für die Medizin gilt, sondern ein gemeinsames Credo der Berliner Lebenswissenschaft, von Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftlern ebenso wie von Naturwissenschaftlern und Medizinern werden sollte. Scheinbar bin ich aber mit solchen Gedanken weit fortgeeilt vom Museum für Naturkunde und seinem neuen Generaldirektor, den wir heute einführen. Wer Leinfelder aber näher kennt, weiß, daß dem nicht so ist. Wir beide planen in nächster Zukunft Veranstaltungen zur Evolution und so war es mehr als angezeigt, daß ich für meinen Teil erkläre, warum meine eigene wissenschaftliche Arbeit am Thema der Lebenswissenschaften als Präsident ausgerechnet bei der Evolution beginnt. Denn, meine Damen und Herren, täuschen wir uns doch nicht: Alle formale Metamorphose, alle strukturelle Umorganisation, bleibt hohl und leer, wenn sie nicht von wissenschaftlichen Leitannahmen gesteuert ist. Das galt und gilt für die deutsche Universitätsreform im Allgemeinen, wie vor wenigen Wochen der Schweizer Molekularbiologe und Wissenschaftspolitiker Gottfried Schatz beim Jahresempfang in Berlin-Buch uns noch einmal ins Stammbuch geschrieben hat, gilt aber natürlich auch für das Museum für Naturkunde. In diesem Sinne wünsche ich, wünschen wir Ihnen alle, lieber Herr Leinfelder, Fortune bei den Metamorphosen, die Sie schon eingeleitet haben oder noch einleiten werden und hoffen, daß alle Metamorphose der Form den Inhalt bewahrt, das Schatzhaus der Evolution nur noch besser präsentiert und auf diese Weise ein konstitutives Element der Lebenswissenschaften an der Humboldt-Universität noch besser in ihr und der Öffentlichkeit präsent macht.

 

Eine Einsetzung in ein Amt, meine sehr verehrten Damen und Herren, klärt Verhältnisse und beendet ein Interim. Diejenigen, die nicht wie ich den schwierigen Prozeß der Findung eines Generaldirektors aus den Akten kennen, werden wissen, daß das Wort „Interim“ eher nicht geeignet ist, um das Wirken des Chemikers Michael Linscheid als kommissarischer Direktor des Museums zu beschreiben. Mir ist zwar nicht klar, wie nahe die fachlichen Interessen eines analytischen Chemikers, der in Adlershof Lehrveranstaltungen über Themen wie Mineralölkohlenwasserstoffe in Böden und synthetischem Seewasser abhält, an denen des Museums für Naturkunde liegen, aber daß Sie, lieber Herr Linscheid, das Interim mit Anstand, Sensibilität, Energie und Erfolg gestaltet haben, ist mir durchaus zu Ohren gekommen. Dafür ist Ihnen die ganze Humboldt-Universität zu großem Dank verpflichtet und ich stehe immer noch hier, um denselben handgreiflich auszudrücken.

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