Humboldt-Universität zu Berlin

Einweihung der neugestalteten Säle im Naturkundemuseum

Grußwort vom 12.07.2007
Heute bewahrheitet sich, verehrter regierender Bürgermeister, lieber Herr Wowereit, verehrter, lieber Herr Generaldirektor Leinfelder, meine Damen und Herren, was unser Kunsthistoriker Horst Bredekamp vor einiger Zeit einmal zugespitzt so formuliert hat: Die Humboldt-Universität zu Berlin ist ein „Museum mit angeschlossenem Lehrbetrieb“. Natürlich möchte ich, wenn ich dieses Bonmot eines geschätzten Wissenschaftlers zitierte, nicht behaupten, daß die ganze Universität ein mit Vitrinen vollgestelltes Haus ist, in dem die große Vergangenheit präsentiert wird und die alma mater Berolinensis auch nicht einer großen Dinosaurierhalle vergleichen – auch wenn immer wieder einmal an der Spezies deutsche Universität heftige Kritik von links wie rechts geübt wird, beobachte ich allzumal in Zeiten gegenwärtiger Entwicklungsschübe bemerkenswerte Evolutionsschritte, keineswegs das rätselhafte Aussterben einer Spezies, ganz im Gegenteil: Ein mit namhaften Finanzmitteln unterlegter Masterplan des Landes stellt, wenn Sie mir dieses Bild gestatten, der Spezies Universität eine neue, optimierte Form der Nahrung zur Verfügung, die zu ungeahnten Wachstumsschüben führen kann und wird, wie bereits die aktive Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters für dieses Haus und einzelne seiner Bewohner und ganz besonders einen Bewohner aus der Familie der Beuteltiere gezeigt hat. Wunderbare Zeiten für die Berliner Wissenschaft, verehrter Herr Wowereit, und die Aussicht auf viele solche glückliche Tage mit prächtigen Einweihungsfesten!

„Museum mit angeschlossenem Lehrbetrieb“ ist die Humboldt-Universität aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur heute, für einen einzigen glücklichen Tag, sondern sie ist es und ist es im Unterschied zu vielen, ja vielleicht allen anderen deutschen Universitäten seit fast zweihundert Jahren. Schon 1810, bei ihrer Gründung, standen Universitäts- und Museumsbetrieb in einem ganz und gar engen Zusammenhang. Wilhelm von Humboldt hat seinem König bekanntlich in sehr knappen, aber auch präzisen Memoranden 1809 vorgeschlagen, eine Universität einzurichten, und im Jahr darauf die Errichtung eines Museums in Berlin. Im kurzen Text über die Universität aber werden bereits deren ‚naturhistorische und Kunst-Sammlungen’ als integraler Bestandteil der neuen Einrichtung erwähnt und in dem Text über das Museum eine „Gallerie ausgewählter Bilder“ im Universitätsgebäude – Museum und Universität sind also auf das engste verbunden, räumlich ineinander gefügt, konzeptionell vereint. Hinter dieser organisatorischen und geographischen Verbindung steht ein sehr besonderes Bildungskonzept, das man mit einer Maxime des Architekten Friedrich Schinkel für sein Museumsgebäude am Lustgarten so charakterisieren könnte: „Erst erfreuen, dann belehren“. Etwas holzschnittartiger: Erst begreifen, anfassen, ertasten, hinsehen, dann reden und schreiben. Erst in diesem Schatzhaus der Evolution inventarisieren und ordnen, dann theoretisieren. Und das Ganze nicht auf verstaubte Gelehrte und in Ehren ergraute Archivare beschränken, sondern die ganze Stadt, das Land hineinholen und allen demonstrieren, wie spannend die Wissenschaft vom Leben ist, nicht nur in Schülerlaboren. So wünsche ich mir die ganze Universität, so wollen wir alle unsere Humboldt-Universität – und das Museum für Naturkunde macht uns allen vor.

„Museum mit angeschlossenem Lehrbetrieb“ sind wir also, meine Damen und Herren, nicht deswegen, weil wir hier immer wieder einmal die Namen von Humboldt, Virchow oder Helmholtz in den Mund nehmen – und im Blick auf höchst irritierende Diskussionsbeiträge aus einem Wiesbadener Ministerium muß natürlich unbedingt auch der Name von Charles Darwin genannt werden, gerade auch von einem evangelischen Theologen im Präsidentenamt: Sie wissen, daß die Bezüge auf alle diese großen Namen nichts, aber auch gar nichts Museales haben. Wir sind vielmehr felsenfest davon überzeugt, daß wir durch zeitgemäße Übersetzung und Weiterführung der Ideen dieser Gründerväter unserer Universität und der für dieses Haus einschlägigen Wissenschaften noch etwas lernen bei der Evolution der deutschen Universität, bei der Evolution dieser Universität: „Translating Humboldt into the 21st century“ ist das blaue Buch unseres Antrags im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder überschrieben, das blaue Buch, das nach einem Jahrhundert, in denen ganz andere Bücher an der deutschen Universität dominierten, nun den Kurs unserer Universität bestimmt. Darin steht zu lesen, was ja auch jeder sehen kann: Daß eine integrative Form der Lebenswissenschaft, in der nicht nur Biologie und Medizin, sondern auch Geistes- wie Sozialwissenschaften an zentralen Themen gemeinsam arbeiten, der herausragende Schwerpunkt dieser Universität in den nächsten Jahren ist. Im „Institut für integrative Lebenswissenschaften“, das wir im Zuge des Exzellenzwettbewerbs“ demnächst gründen werden, bildet die Erforschung der Zusammenhänge von Evolution, Reproduktion und Regeneration einen zentralen Schwerpunkt. Aber erst das Naturkundemuseum, seine Sammlungen und seine Expertise machen die Berliner Forschung auf diesen auch anderorts vielfach beforschten Feldern zu einem einzigartigen Unternehmen, sichern das – wie man heute so schön sagt – Alleinstellungsmerkmal des Leuchtturms Lebenswissenschaften in Berlin.

Damit die Humboldt-Universität zu Berlin auch weiter so erfolgreich ein „Museum mit angeschlossenem Lehrbetrieb“ bleiben kann, ist noch viel zu tun – vielleicht haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, beim Hereinkommen den im Bau befindlichen Ostflügel dieses Hauses gesehen, in den eine namhafte Summe aus unserem Universitätshaushalt fließt, genauer: fünfzig Prozent der Baukosten. Ich darf namens der ganzen Universität versichern: Dieses Haus ist uns kostbar, weil es das unverwechselbare didaktische und wissenschaftliche Profil dieser Universität prägt. Wir werden es auch weiterhin nachhaltig unterstützen, gerade auch bei der Suche nach einer nachhaltigen finanziellen Absicherung im Rahmen der Bund-Länder-Förderung, aber auch bei der Eröffnung und Befestigung weiterer wissenschaftlicher Kooperationen, beispielsweise mit dem Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Bevor wir aber energisch auf die Agenda der nächsten Wochen, Monate und Jahre schauen, muß doch erst einmal gefeiert werden, was so glücklich gelungen ist. Und also danke auch ich: Dem regierenden Bürgermeister und dem ganzen Senat für seine Unterstützung, dem Generaldirektor Leinfelder und seinen Mitarbeitern, insbesondere Herrn Damaschun, für ihr ungeheueres Engagement, der technischen Abteilung unserer Universität für ihre Unterstützung, dem Architekturbüro Diener und Diener, dem Büro Art+Com – sie alle haben sich um die Universität verdient gemacht!

Es ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, wohl eher ungewöhnlich, daß die Technische Abteilung einer Universität ihre normierten Beschaffungsformulare dazu verwendet, um Paradiesvögel einzukaufen – so geschehen im Rahmen der Vorbereitung des heutigen Tages. Ich könnte die Formel „Museum mit angeschlossenem Lehrbetrieb“, die ich nun schon reichlich oft verwende habe, am Schluß noch ein wenig provokanter variieren: Wir sehen heute, daß nicht nur dieses Museum, sondern die ganze Humboldt-Universität zu Berlin ein Haus für Paradiesvögel ist. Das macht ihre Einzigartigkeit in der deutschen Forschungslandschaft aus, in Europa und darüber hinaus – hier wird Wissenschaft munterer, pfiffiger und tiefsinniger präsentiert, ja inszeniert als anderswo und heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, sieht das nun wirklich jeder. Und jede. Vielen Dank.

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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