Humboldt-Universität zu Berlin

Grußwort anläßlich des Festaktes für Liselotte Richter

7. Juni 2006

Spectabilis,
verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte, liebe Studierende,
und liebe Anverwandte von Liselotte Richter,
in einem Fach meines Schreibtisches liegt das Studienbuch meines Großvaters mit An- und Abtestaten aus der goldenen Zeit der Berliner Geschichts- und Altertumswissenschaften. Das Studienbuch seiner Frau, meiner Großmutter, ist leider verloren. So weiß ich nicht, welche Lehrveranstaltungen stud. phil. Agnes Kahlmeyer aus Dresden während ihres Studiums vor Ausbruch des ersten Weltkriegs in Leipzig und Münster besucht hat. Sicher ist nur, daß die junge katholische Studentin auch Stilübungen bei dem evangelischen Altphilologen Theodor Herrle besuchte und die beiden sich kennen und lieben lernten, was die katholische Familie meiner Großmutter nicht wenig beunruhigte – man schickte die verwirrte junge Frau eilends aus Leipzig nach Münster fort. Als die beiden Liebenden schließlich nach einigen Verwicklungen doch heirateten, gab meine Großmutter sofort ihre Promotion über mittelalterliche Städtegründungen unter Kaiser Heinrich I., die sie bei dem sächsischen Landeshistoriker Rudolf Kötschke anzufertigen begonnen hatte, auf und nahm auch eilends von ihrem Berufsplan, Archivarin zu werden, Abstand. „Das war damals eben so“, kommentierte meine Mutter, eine von drei Töchtern jener Agnes Kahlmeyer, jüngst den Ausstieg meiner Großmutter aus der Wissenschaft, die ihr offenkundig großen Spaß gemacht haben muß.

Warum erzähle ich zu Beginn einer Gedenkfeier dieser Universität für Liselotte Richter über Agnes Kahlmeyer? Natürlich nicht nur, weil dem Altkirchenhistoriker im Amt des Präsidenten angesichts der klugen Dissertation von Catherina Wenzel und angesichts so vieler kundiger Schüler und Hörer wenig, ja vielmehr nichts Neues über die zu Ehrende zu sagen bleibt. Nein, mir scheint, daß wir das Außerordentliche dieses Lebenslaufs der ersten Frau, die in Deutschland einen Lehrstuhl für Philosophie erhielt und als Ordinaria in eine Theologische Fakultät berufen wurde, nur dann würdigen, wenn wir zugleich die Normalität nicht vergessen. Daß Agnes Kahlmeyer ihre Promotion schrieb und gar in der geliebten sächsischen Landesgeschichte habilitierte, stand vor dem ersten Weltkrieg nicht zur Debatte und es ehrt ihren Mann, meinen Großvater, daß er mit aller Energie darauf bestand, daß wenigstens seine drei Töchter promovierten. Liselotte Richter erhielt ihre Professur im Jahre 1947, also erst nach dem Zusammenbruch der klassischen alten alma mater Berolinensis im totalitären Regime.

Ein weiterer Grund, warum ich zum Eingang einer Veranstaltung für Liselotte Richter meine katholische Großmutter bemühe, ist das philosophische wie religiöse Profil der zu Ehrenden, das ich freilich nur aus Catherina Wenzels Dissertation kenne, nicht aus eigenem Erleben oder Hören. Liselotte Richters Prägung durch die Studienzeit in Marburg, durch Bultmann, Heidegger und Otto, verstärkt ein früh bei ihr angelegtes mystisches Interesse, das sicher nicht bruchlos zum Normalbild evangelischer Frömmigkeit paßt und doch in den zwanziger Jahren verbreiteter war. Nicht wenige Studenten – hier darf man dann schon Studierende sagen – zogen am frühen Morgen mit Friedrich Heiler auf einen Berg nördlich von Marburg, feierten dort auf altem heidnischen Grund in einer kleinen Kapelle nach altertümlicher Liturgie einen mystisch aufgeladenen Gottesdienst, um unmittelbar darauf im Kolleg bei Bultmann Albert Schweitzers „Mystik des Apostels Paulus“ einer ätzenden Kritik unterzogen zu hören und sich dann bei Otto in der Vorlesung zu berauschen, wenn er über das Heilige sprach (was auch immer das sei). Ich bin nicht berufen an dieser Stelle zu fragen, wie genau sich nun bei Liselotte Richter diese mystische Dimension ihres Denkens und Lebens zu ihrem Marburger Engagement für die KPD und in der Roten Hilfe verhält, auf welche Weise Martin Heidegger, der Philosoph in der von Otto Ubbelohde entworfenen Trachtenjoppe, in den Marburger Kosmos der zwanziger Jahre und in die geistige Welt von Frau Richter gehört – Richard Schröder wird dies gleich in gewohnt kundiger Weise tun. Mir scheint nur – und auch deswegen habe ich meine katholische Großmutter bemüht –, daß Liselotte Richter auf sehr bemerkenswerte Weise zwischen den in den zwanziger Jahren noch relativ strikt getrennten Milieus geistiger, religiöser und politischer Prägung oszilliert. Und dabei dann sogar dem strikt katholischen, leicht antiprotestantischen Dresdner Bürgertumsmilieu meiner Großmutter nahekommt, deren Interesse für eine mystisch vertiefte Frömmigkeit vergleichbar wird und ähnliche Autoren liest.

Verehrte Damen und Herren, sich derjenigen akademischen Lehrer zu erinnern, die zwischen den strikt abgegrenzten Milieus, zwischen den voneinander getrennten Schulen, zwischen streng geschiedenen politischen Positionen oszillieren, wenn nicht gar vermitteln, bringt in jedem Fall Gewinn, weil es eigene Horizonte erweitert. Ob man dann nicht selbst mit größerer Trennschärfe als diese Lehrer zu unterscheiden weiß oder mindestens das Bedürfnis schärferer Unterscheidung fühlt, ist eine ganz andere Frage, die in einem Grußwort nicht verhandelt und schon gar nicht abschließend geklärt werden muß. Als Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin sage ich freilich auch, daß wir uns bei einer Ehrung von Liselotte Richter keineswegs beruhigt zurücklehnen dürfen und über dieses erstaunliche Leben verwundert staunen dürfen. Immer noch bestehen allerlei Hindernisse für kluge Frauen, die Wissenschaftlerinnen werden wollen, auch wenn sie nicht mehr so drastisch ausfallen wie für Agnes Kahlmeyer. Und immer noch gibt es Fächer an dieser Universität, in denen keine einzige Frau einen Lehrstuhl hat, auch wenn Liselotte Richter inzwischen allerlei Kolleginnen an dieser Universität bekommen hat. Wir haben also viele gute Gründe, als Humboldt-Universität und als Theologische Fakultät Liselotte Richters zu gedenken und ich freue mich sehr, Sie alle zu diesem Festakt zu begrüßen, dem ich einen guten Verlauf wünsche. Daß ich ihn auch sofort wieder verlassen muß, ist, wie Sie an meinen Worten sehen, kein Zeichen von Geringschätzung und mangelndem Interesse, sondern lediglich eine Folge einer schon früher zugesagten Einladung.

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