Eröffnungsrede des Schleiermacherkongresses
Eröffnung des Schleiermacherkongresses
„Christentum – Staat – Kultur“
Berlin, 26. März 2006, Senatssaal der Humboldt-Universität
Verehrter Ratsvorsitzender, lieber Bischof Wolfgang Huber, Spectabilis Gräb, Herr Vorsitzender, verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen,
als Schleiermacher im Jahre 1808 in den „Berlinischen Nachrichten“ ankündigte, „im bevorstehenden Winter … die Theorie des Staates, seiner wesentlichen Bestandtheile, und Verrichtungen nach den in der Ethik mitgeteilten Principien genauer“ entwickeln zu wollen (Nowak, 312), befand sich die ihn umgebende Welt in einem dramatischen Umbruch, keineswegs in Berlin, der Hauptstadt des geschlagenen Preußen, allein. Im Jahr zuvor, 1807, waren beispielsweise im Rahmen der preußischen Reformen auf Initiative von Hardenbergs viele ständerechtliche Privilegien gefallen und Schleiermacher agierte in verschiedensten Funktionen als Teil dieser Reformbewegung – unnötig, vor den peritissimi hier im Saal Details auszubreiten, die abgekürzte Erinnerung mag zureichen. Als Schleiermacher sieben Jahre später in der Akademie „Ueber die Begriffe der verschiedenen Staatsformen“ vortrug, war schon klarer, was an diesen Reformen lediglich auf einen vorläufigen „Nothstaat“ geführt hatte – freilich sprach der Referent gar nicht über diese Entwicklung, sondern diskutierte zunächst die aus der Antike überkommenen Grundmodelle der Verfassungsformen und sodann die neuzeitlichen Termini zur Beschreibung staatlicher Gewalt. Die lediglich relative Brauchbarkeit dieser überkommenen doppelten Terminologie ergibt sich für Schleiermacher daraus, daß sie die Individualität eines konkreten Staates nicht präzise zu beschreiben vermögen, weil dieser stets vermengt, was die Begrifflichkeit künstlich separiert. Die Individualität eines Staates entwickelt sich nach Schleiermacher aber aus der naturgemäß zusammengehörigen und zusammenlebenden Masse des Volkes. Ich will in einem Grußwort selbstverständlich keine Schleiermacher-Exegese treiben, mir geht es vielmehr um etwas Grundsätzliches: So, wie die erwähnte Akademieabhandlung von 1814 durch Synthesen geprägt ist, beispielsweise durch die basale Synthese von Monarchie und Demokratie, so scheint dem Altkirchenhistoriker das ganze Œuvre Schleiermachers im Blick auf die drei großen Kongreßstichworte „Christentum – Staat – Kultur“ durch solche Versuche von Synthesen geprägt. Täusche ich mich, daß dieser Charakter der Synthese gerade auch für die Konjunktur wie die Kritik an Schleiermacher ursächlich verantwortlich ist? Dominiert im Diskurs der Wissenschaften die Unterscheidung, hat er es schwer, nicht nur in der Theologie. Ist Synthese angesagt, gewinnt er überraschende Aktualität und Bedeutung. Christentum und Kultur, Christentum und Staat – das sind ja, verehrte Damen und Herren, wohl die großen Stichworte nicht nur der theologischen Debatten der jüngsten Zeit und entsprechend prominent ist Schleiermacher wieder geworden. Wir haben aber, so scheint mir, gern eine Tendenz (um es einmal metaphorisch zu sagen) stets zur Linken oder zur Rechten vom Pferd herunterzufallen, meint: jenseits nüchterner Analyse in den Geisteswissenschaften zwischen Hagiographie und Denkmalszerstörung zu oszillieren. Ich wünsche Ihnen auf diesem Kongreß vor allem solche nüchternen Analysen, die zugleich Zeitgebundenheit und Gegenwartstauglichkeit eines großen Theologen und Philosophen sichtbar werden lassen. Denn so interpretiert, vermag Schleiermacher (jedenfalls meiner Ansicht nach) zu einer ganzen Reihe von Gegenwartsproblemen interessante Anregungen zu liefern; ich habe in meiner Inaugurationsrede Anfang Februar auf das nach wie vor theoretisch ungeklärte Problem des Verhältnisses von Elitebildung und Sozialverantwortung hingewiesen, das sich den Universitäten in Zeiten des Exzellenzwettbewerbs besonders drängend stellt – hier beispielsweise sind von Schleiermacher interessante Anregungen zu erwarten, natürlich keine unmittelbar gegenwartstauglichen Lösungen.
In diesem Sinne begrüße ich Sie, verehrte Damen und Herren, namens der Humboldt-Universität und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sehr herzlich zu diesem Berliner Schleiermacher-Kongreß, an dem beide Institutionen über alle fachwissenschaftlichen Höhepunkte hinaus ein nachhaltiges Interesse haben. Hätten wir uns vor hundertneunzig Jahren versammelt, hätte Schleiermacher die Begrüßung namens der Universität selbst übernehmen können, da amtierte er als sechster Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität; hätte der Kongreß dagegen vor hundertachtzig Jahren getagt, hätte Schleiermacher als Sekretar der königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften begrüßen können, ein Amt, das er zwanzig Jahre mit einer kurzen Unterbrechung im Jahr 1826 ausübte, obwohl er diesen Titel gar nicht mochte – er sprach von einem „übel gewählten Namen“ (Harnack I/2, 690) und daß er da nicht ganz falsch lag, sieht man schon daran, daß das Programm dieses Kongresses konsequent aus dem „Sekretar“ einen „Sekretär“ macht. Aber wie es nun gedruckt ist, so ist’s auch recht gedruckt – markiert es doch mit rein philologischen Mitteln den Abstand zwischen dem Theologen und Geisteswissenschaftler, zu dessen Ehren wir uns hier versammeln, und uns, seinen Exegeten. Für die Schleiermacher-Exegesen der kommenden Tage Ihnen allen alle guten Wünsche; ich bedauere sehr, das spannende Programm wegen einer Reise nach Zürich nur sehr partiell verfolgen zu können und hoffe – um das zum Schluß so direkt zu sagen – daher auf baldige Veröffentlichung des Kongreßbandes.