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Grußwort zur Tagung „Religion und ihr Anderes“ am 30. März 2007

Die Logik der Semesterferien, meine Damen und Herren, in der nun einmal eine Fülle von Tagungen und Kongressen stattfindet, fügt es, daß am heutigen Nachmittage gleich zwei Veranstaltungen an der Humboldt-Universität zu Berlin eröffnet werden, die sich mit dem Theorem der Säkularisation beschäftigen: Am frühen Nachmittag eine kleine, aber feine Nachwuchstagung des Sonderforschungsbereichs „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ und kurz darauf der große Fachkongreß der „International Academy of Practical Theology“. Auf der ersten Tagung des sozialwissenschaftlichen Forschungsclusters wird die uns so lange selbstverständliche Dichotomie eines religiösen und eines säkularen Bereichs problematisiert, unter anderem von Gelehrten aus Israel und der arabischen Welt, in der tatsächlich selbst ein aufmerksamer Reisender nicht mehr einfach bruchlos von einer solchen Dichotomie sprechen kann, wiewohl es für staatliches Handeln im Nahen Osten gute Gründe gibt, auf die Trennung der beiden Bereiche ungeachtet aller Interferenzen zu achten. Das umfangreiche Programm der „International Academy of Practical Theology“ weist eine ganze Sektion zum Thema „Practical Theology and Secularization“ aus, die sich über mehrere Tage zieht.

Natürlich überrascht eine solche Koinzidenz einen Universitätspräsidenten, der zugleich Kirchenhistoriker und Theologe ist, kaum – allenfalls die Notwendigkeit, zwischen zwei parallel stattfindenden Veranstaltungen in zwei Gebäuden der eigenen Universität hin und her zu eilen, erregt noch Aufmerksamkeit und verlangt eine gewisse Logistik. Denn auch einem Wissenschaftler, der sich hauptberuflich mit der christlichen Antike beschäftigt, sind natürlich die umfangreichen Debatten über das Säkularisierungstheorem aufgefallen. Ein wenig durchlässig sind trotz der bekannten Fragmentierung der Disziplinen im Gefolge neuzeitlicher Ausdifferenzierung die Disziplinengrenzen ja schon. Zwei Beispiele pars pro toto aus der Lektüre des Patristikers im Präsidentenamt in den vergangenen zwei Tagen: Hans Joas, der geschätzte Eröffnungsredner des Kongresses der praktischen Theologen, hat eben gerade ein umfangreiches Taschenbuch unter dem Titel „Säkularisierung und die Weltreligionen“ herausgegeben und in der Einleitung nicht nur darauf hingewiesen, daß die Frage nach der Religion und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft seit dem achtzehnten Jahrhundert eine ganze Reihe von Disziplinen und Öffentlichkeiten beschäftigt. Joas spricht auch von der Krise – oder, wie er wörtlich sagt –  dem Ende der Säkularisierungstheorie und den Schwierigkeiten, die es beispielsweise beim Versuch flächendeckender Erklärung für unterschiedlichste Regionen, für Nordamerika, Südamerika, West- und Osteuropa macht. Und Talal Asad, der die Konferenz „Religion and its other“ eröffnet, weist in seinem Buch „Formations of the Secular“ aus dem Jahre 2003 darauf hin, daß wie so oft auch hier der schlichte Dual eines Nebeneinanders des religiösen und politischen Bereichs als dem zentralen Charakteristikum der Moderne weder die aufgeklärten noch die der Aufklärung bedürftigen Gesellschaften dieses Globus trifft. Das, was wir „Säkularisation“ nennen, ist, wie Asad fein beobachtet, zunächst einmal nur das Andere einer bestimmten Entwicklung von Religion und Theologie, auf das Engste verbunden mit eben dieser Entwicklung und von ihr nicht zu trennen. Und die für unser Verständnis von „Säkularisation“ leitende Vorstellung eines Rückzugs der Religion ist eben wohl doch in exakt dem Sinne eine reine Theorie, daß sie die Wunschvorstellung bestimmter neuzeitlicher Intellektueller beschreibt, aber nicht die multiple Realität europäischer und außereuropäischer Gesellschaften.

Das, meine Damen und Herren, wissen Sie natürlich alle und wissen auch die Kolleginnen und Kollegen, die parallel mit Ihnen an einem anderen Ort in dieser Universität zum selben Thema tagen. Mindestens für einen Historiker, der sich mit der Antike beschäftigt, wirkt die neuere Säkularisierungsdiskussion fast schon ein wenig abgestanden: Ja, es hat sich inzwischen sogar schon in unsere abgegrenzten Zirkel, die sich mit griechischen Inschriften und altsyrischen Liturgien beschäftigen, herumgesprochen, daß das Säkularisierungstheorem mehr über die geistige Situation der Neuzeit als über ihre religionspraktische Konfiguration verrät. Und wenn das so ist, dann darf man allzumal als Dilettant im Bereich der Neuzeit auch ein paar ketzerische Fragen stellen. Die antiken Christen, mit denen ich mich Tag für Tag beschäftige, versuchten die enge Verquickung von Religion und Öffentlichkeit – beispielsweise in der römischen Armee - aufzulösen. Sie behaupteten, daß auch der, der an Kaisers Geburtstag das Tragen eines Kranzes zu Ehren des vergöttlichten Monarchen verweigerte, ein loyaler Staatsbürger sein könne. Sie waren sich sicher, daß die Verweigerung staatlicher angeordneter Zwangsopfer kein Akt der Illoyalität gegenüber Kaiser und Reich darstelle, schon deswegen nicht, weil die Fürbitte für alle Obrigkeit im Gottesdienst die eigentlich wirksame Bekundung von Loyalität darstelle. Ist das nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Hinweis darauf, daß die Theorie einer Abgrenzung (nicht: einer Trennung) der Bereiche von Religion und Politik zu den großen Ordnungs- und Differenzierungsleistungen christlicher Theologie der Antike gehört? Mithin die Fixierung auf die europäische Neuzeit bei der Diskussion über das Säkularisierungstheorem vielleicht ebenso ein moderner Mythos ist wie das Säkularisierungstheorem in der uns vertrauten Gestalt auch?

Der auch Experten der Neuzeit bekannte antike Bischof Augustinus predigte in der Kathedrale eines nordafrikanischen Kleinstädtchens, übrigens mit dünner, asthmatischer Stimme gegen ein laut lärmendes, applaudierendes und protestierendes Auditorium, eine quicklebendige gottesdienstliche Gemeinde. Er warb mit großer Energie dafür, daß Christen in der Öffentlichkeit als Christen erkennbar waren. In der Fastenzeit nur die vorgesehene Fastenspeise aßen, eine dünne Suppe mit Speckwürfeln am Abend, und die Wellnessbäder während der vorösterlichen Bußzeit bis zum Abend des Gründonnerstag meiden sollten, um sich erst am Abend des letzten Abendmahls Jesu Osterfein – meint: Osterrein – zu machen. Man wird also kaum sagen können, daß er eine Unterscheidung der beiden Bereiche von Religion und öffentlichem Leben intendierte. Und doch hat er Anfang des fünften Jahrhunderts in seinem großen Werk De civitate Dei eine große Theorie der Auseinandersetzung von Kirche und Welt, von civitas Dei und civitas terrena vorgelegt, die untereinander vermischt und oft kaum als separate Größen zu erkennen, doch auf sehr verschiedenen Pfaden wandeln.

Es wird Sie nicht überraschen, meine Damen und Herren, wenn ein Patristiker im Präsidentenamt der Ansicht ist, daß für einen differenzierten Umgang mit dem Säkularisierungstheorem und zusammenhängenden Theoriebildungen antike Texte von erheblicher Bedeutung sind – jedenfalls von größerer Bedeutung, als viele neuzeitfixierte Kollegen oft meinen. Sowohl die bunten Daten über religiöse Praxis der Antike sind einschlägig als auch die hochinteressanten Versuche antiker christlicher, jüdischer und muslimischer Theologen, zwei Bereiche von Religion und Politik, Kirche und Staat, Privatheit und Öffentlichkeit zu separieren, zu differenzieren, und doch wechselseitig aufeinander bezogen zu halten. Wie will man – um nur eine wichtige Konkretisierung andeuten - beispielsweise die Völkerwanderungsstaaten angemessen beschreiben, ohne solche Zusammenhänge zu Schlüsselkategorien der Beschreibung zu machen?

Nun kann ich in einem Grußwort schlecht einen Vortrag zur bislang arg vernachlässigten Bedeutung der kaiserzeitlichen Antike für die Säkularisierungsforschung improvisieren – ein solches Unterfangen würde den Rahmen und das Genre allzusehr sprengen. Zum einen kann ich getrost auf kluge Mittelalterhistoriker der Humboldt-Universität wie Michael Borgolte verweisen, die sich solchen Themen längst angenommen haben. Zum anderen reicht es auch, wenn Sie mir am Beginn Ihrer Tagung glauben, daß auch nach meiner persönlichen Ansicht das Thema „Säkularisierung“ noch längst nicht erschöpft ist, wiewohl es die Spatzen von den Dächern pfeifen. Ich bedauere, den beiden Tagungen nicht folgen zu können, da ich morgen in aller Herrgottsfrühe nach Moskau fliege. Aber Sie ahnen es längst: Gerade im dritten Rom bleibt man natürlich beim Thema „Säkularisierung“, wie sollte es anders sein. Sie bleiben dies auch und dazu begrüße ich Sie nicht nur an dieser ebenso traditionsreichen wie modernen Universität, sondern wünsche Ihnen fruchtbare und vor allem weiterführende Vorträge, Diskussionen und Gespräche. Vielen Dank.

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