Humboldt-Universität zu Berlin

Die Exzellenz und der Exzellenz-Wettbewerb

Mindestens hinter vorgehaltener Hand und in einigen Zeitungen auch etwas offener wird geklagt. Wird geklagt über den Exzellenz-Wettbewerb des Bundes und der Länder. Da gibt es ein hochgeheimes Papier einiger Hochschulrektoren und Präsidenten, es äußern sich Kollegen, die weder ihren Namen noch eine geografische Einordnung ihrer Hochschule im Artikel wiederfinden wollen -- im Grunde konsequent, denn wenn die Gutachter im nämlichen Wettbewerb so beschränkt und parteilich wären, wie ihnen in einigen dieser Voten unterstellt wird, müsste man sich vor ihren harschen Reaktionen auf Kritik auch gewaltig fürchten und dürfte sich tatsächlich nur anonym äußern. Und was wird beklagt? Neben dem alten Vorwurf, den im Grunde die meisten Wissenschaftler erheben, die begutachtet werden -- nämlich, dass sie ungerecht beurteilt wurden und nichtwissenschaftliche, niedre Motive im Spiel waren (und wissenschaftspolitische Motive gelten natürlich unter vielen Wissenschaftlern als besonders niedrige Motive), gibt es auch eine Reihe grundsätzlicher Erwägungen über die Regularien des Wettbewerbsverfahrens und seine Folgen für die deutschen Universitäten.

Mit dem ersten Komplex der Vorwürfe lohnt die Auseinandersetzung nicht. Jeder, der einmal in einem ähnlichen Verfahren gutachterlich tätig war, weiß, dass es das schlechthin objektive Verfahren nicht geben kann. Und da geht es nun gar nicht um die bekannten Hässlichkeiten von Schul- und Zitierkartellen und vergleichbare grobe Verzeichnungen des Urteils, die man nie ganz ausschließen kann. Sind schließlich alles Menschen. Nehmen wir vielmehr einmal den Fall an, es lägen auf dem Feld der Kirchengeschichte bei einer Stiftung 20 von Gutachtern als exzellent und förderungswürdig beurteilte Anträge vor, es sei aber gleichzeitig deutlich, dass die Finanzmittel nur für zehn reichen. Angesichts eines solchen Szenarios ist vollkommen klar, dass an dieser Stelle nur begrenzt objektivierbare Grundlinien von Förderpolitik ins Spiel kommen: Fördern wir eher Editionen oder eher Monografien? Sollen Projekte aus allen historischen Epochen gleichmäßig gefördert werden oder braucht die hierzulande im Bereich der evangelischen Theologie besonders schwach ausgeprägte Mediävistik einen besonderen Schub? Geben wir unbekannten, aber spannenden Nachwuchswissenschaftlern Kredit oder setzen wir auf die großen alten Namen? Leisten wir uns in dieser Situation ein risikoreiches Projekt oder fördern wir Bewährtes? Mit gutem Grund kann auf jede der Fragen so oder so geantwortet werden, so oder so optiert werden. Den Gutachtern im Exzellenz-Wettbewerb also vorzuwerfen, dass sie förderpolitische Entscheidungen getroffen haben, bestimmten wissenschaftspolitischen und wissenschaftstheoretischen Grundannahmen verpflichtet waren, verrät wenig Sensibilität für die Gesetze eines Begutachtungsverfahrens. Denn in einer pluralisierten Wissenschaftslandschaft werden entsprechende Grundannahmen niemals auf den Konsens aller Beteiligten treffen.

Spannender sind da schon die grundlegenden Einwände gegen den Wettbewerb. Der erste Einwand ist ein Zeugnis der Betonierung (freundlicher formuliert: der Marmorierung) der Debatte über die Universität hierzulande. Da kritisieren doch tatsächlich kluge Menschen, dass der Wettbewerb eine Differenzierung der deutschen Hochschullandschaft einleite und es in Zukunft einige wenige privilegierte Hochschulen und eine Unterschicht deutscher Universitäten geben werde. Kann man denn wirklich an der abstrakten -- und schon immer wirklichkeitsfremden -- Gleichheitsfiktion aller deutschen Universitäten festhalten? Und gibt es irgendeinen Grund dafür, eine solche Gleichheit anzustreben? Natürlich darf es nicht -- und da haben der Biologe Hubert Markl und der Politologe Herfried Münkler recht -- im Gefolge der eher bescheidenen finanziellen Aufwertung einer Handvoll von Universitäten zu einer »Unterschicht« finanziell vollkommen unterversorgter Universitäten kommen. Ideal wäre ein abgestuftes System von Universitäten, wie es zu Zeiten des seligen Friedrich Althoff in Preußen üblich war, als die erstklassigen jungen Ordinarien für eine Zeit nach Greifswald und dann nach Ablauf einer Bewährungsfrist auf die großen Berliner Lehrstühle berufen wurden. Natürlich kann man dieses System -- auch wenn das der Präsident der Berliner Alma Mater vielleicht gern sähe -- nicht repristinieren, aber Inseln der Exzellenz in Greifswald oder Jena sollte und muss sich das deutsche Wissenschaftssystem auch viele Jahre nach dem Tode des großen preußischen Wissenschaftsorganisators leisten.

Ein zweiter Einwand betrifft eine angebliche Einseitigkeit des Wettbewerbs -- er privilegiere einseitig die Naturwissenschaften und deren Tendenz zur Großforschung. In einer der erwähnten anonymen Kritiken hieß es gar nach dem Ende der ersten Runde, als lediglich ein größeres geisteswissenschaftliches Projekt die Voten der Gutachter überlebt hatte: »Man hätte den Geisteswissenschaften gleich sagen müssen: >Bewerbt euch nicht.< Nun herrscht viel Frust.« Auch dieser Einwand überzeugt nicht wirklich. Zum einen haben die Gutachter den deutschen Geisteswissenschaften nun auch offiziell bescheinigt, was viele hierzulande hinter vorgehaltener Hand ja immer gesagt haben: Es gelingt dieser Fächergruppe nicht wirklich, für die großen Forschungsverbünde präzise Fragestellungen, klare Forschungsaufgaben und überzeugende Zeitpläne zu entwerfen. Vielmehr werden unter Überschriften wie »Mündlichkeit und Schriftlichkeit« oder »Das Eigene und das Fremde« äußerst heterogene Forschungsprojekte zusammengekleistert. Zum anderen sind in der zweiten Runde schon deutlich mehr geisteswissenschaftliche Projekte vertreten, was für die rasche Auffassungsgabe vieler Wissenschaftler aus diesen Wissenschaftsfeldern spricht, die aus den Fehlern in der ersten Runde gelernt haben.

Im Jahr der Geisteswissenschaften kann man fröhlich darauf hinweisen, dass neben der Initiative >Pro Geisteswissenschaften<, zu der sich mehrere deutsche Stiftungen verbunden haben und die beispielsweise die Abfassung eines Opus magnumdurch bezahlte Freisemester fördert, sich allerlei neue Förderungsmöglichkeiten für kleinteiligere Projekte aus den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften auftun. In summa: Der Exzellenz-Wettbewerb verschiebt das Gewicht nicht weiter zugunsten der Naturwissenschaften, sondern macht höchstens auf längst bekannte Problemlagen deutlicher aufmerksam.

Ein dritter Einwand malt das Gespenst an die Wand, das hierzulande immer noch Heulen und Zähneklappern auslöst: Der Wettbewerb lege einen einseitigen Akzent auf die Forschung und zerstöre so das Gleichgewicht von Lehre und Forschung. Wer je eine Zeile aus den Schriften der Gründer der Berliner Universität gelesen hat -- und also vor allem Schleiermacher und dann erst Humboldt --, der weiß, dass es sich dabei um eine Formel aus der Präsentation dieser Gründungsideen im Umfeld des 100-jährigen Jubiläums der Friedrich-Wilhelms-Universität von 1910 handelt, die heutigentags wie eine Monstranz durch die Diskussionen getragen wird. An eine jeweils hälftige Auslastung eines jeden Professors war nie gedacht, sondern an eine wechselweise Bezogenheit der Lehre auf die Forschung, aber auch der Forschung auf die Lehre, die sich in der wissenschaftlichen Physiognomie von Studenten wie Dozenten abbilden sollte. Wenn, wie es nun eigentlich scheint, ein Bundeswettbewerb Lehre kommen wird, spricht nichts dagegen, zunächst einmal bei der Forschung zu beginnen und die Bedingungen für Spitzenforschung an einigen Universitäten nachhaltig zu verbessern. Offenbar ist das Bewusstsein dafür geschwunden, dass exzellente Lehre nur so möglich ist. Studierende sind also nicht -- wie einige vermuten -- die Leidtragenden des Wettbewerbs, sondern -- wenn es gut geht -- seine großen Gewinner, weil der Anteil des kalten Kaffees in den Lehrveranstaltungen drastisch reduziert werden kann.

Zu diesem Zweck muss allerdings auch sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass Schillers Votum für den »philosophischen Kopf«, der anstelle des reinen »Brotstudenten« das Ausbildungsziel einer Humboldt'schen Universität sein sollte, nicht durch einen aller Forschungsanteile beraubten Bachelor konterkariert wird, dem dann in Graduiertenschulen mühsam das Einmaleins des wissenschaftlichen Arbeitens und die Grundlagen selbstständigen Forschens beigebracht werden muss -- forschungsorientierte Anteile im Bachelor einzurichten, ist eine Konsequenz, die im Zusammenhang des Exzellenz-Wettbewerbs Forschung gezogen werden muss, damit dessen Wirkungen auch möglichst vielen Studierenden zugutekommen.

Ein vierter und letzter Einwand. Als vor einigen Jahren Großeinrichtungen der deutschen Wissenschaftsförderung wie beispielsweise die DFG evaluiert wurden, ergab sich ein ähnlicher Befund wie jetzt bei den Evaluierungen der Evaluierungs- und Qualitätssicherungssysteme der deutschen Universitäten: Das System -- und hier darf man einmal getrost generalisieren -- ist nicht wirklich risiko- und damit innovationsfreundlich. Daran ändert der Exzellenz-Wettbewerb nur begrenzt etwas. Auch hier passieren Anträge natürlich eher dann die kritische Überprüfung durch diverse Begutachtungsstufen, wenn schon ein gerüttelt Maß Forschung als Vorleistung erbracht ist und das Projekt in gewisser absehbarer Bahn voranschreitet. Aber da liegt es doch an den Universitäten -- die in den vergangenen Jahrzehnten gern eilfertig und gänzlich ohne Mut zum Risiko in Beton gegossen haben, was gerade en vogue war --, Verfahren zur Identifikation spannender, aber risikoreicher Projekte aufzulegen und Fonds zu ihrer Finanzierung bereitzustellen.

Genug der Einwände. Fragen wir lieber einmal, welche positiven Auswirkungen der Wettbewerb hat. Übrigens auch für die, die nichts gewinnen.

Zunächst einmal: Ein Begriff wird an den deutschen Universitäten wieder salonfähig -- und das meint doch nur: in die geistreiche Debatte wieder eingeführt --, vor dem jahrelang auch die Klügsten ängstlich zurückschreckten: Elite. »Sich zu sorgen, wie man möglichst am besten werden könnte« ist nicht nur ein Fundamentalsatz der antiken griechischen Ethik, sondern eigentlich auch ein ganz passables Programm für einen Universitätslehrer. Oder einen Studierenden. Dieses Ziel wieder einmal aus den wehleidigen Debatten deutscher Universität über allzu viele Belastung und allzu wenig Geld herauszukramen und unverdrossen anzugehen, ist eine Folge, die viele aus dem Wettbewerb ziehen.

Sodann: Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Fächer haben sich getroffen und gemeinsam überlegt, gemeinsam geplant. Die Leitung einer süddeutschen Universität hat ausrechnen lassen, dass die Gesamtkosten ihrer Bewerbungen auf allen drei Förderlinien für die Etablierung eines gut ausgestatteten Institutes auf zehn Jahre gereicht hätten. Aber hat sie nicht allein durch die Vorbereitung der Anträge längst ein solch großes Institut für interdisziplinäre Forschung auf disziplinärer Basis an ihrer Universität etabliert?

Schließlich: Viele Universitäten haben sich nicht mehr getraut, Profile auszubilden. Sei es, dass bei Sparrunden längst mit dem Rasenmäher operiert wurde, weil anderes nicht durchsetzbar war, sei es, dass der Verlust eines konsensfähigen Kanons der Universitas litterarum eine lähmende Furcht vor neuer Konsensbildung zur Folge hatte. Aber an vielen Universitäten hat die Antragstellung eine Debatte in Gang gesetzt über die identitätsbildenden Fächer für eine Universitas litterarum -- Menschen ohne Sprachgefühl sagen: >Volluniversität<, Freunde des gerade herrschenden Reformparadigmas >Comprehensive University< --, und dadurch wurde die Frage danach aufgeworfen, was daraus und was am Rande solcher Fächer den besonderen Profilbereich der Einrichtung bildet. Ich denke, dass derartige Debatten kurzfristig auch eine notwendige Erörterung der versuchsweisen Etablierung neuer Disziplinen an unseren Universitäten zur Folge haben werden und langfristig eine Diskussion über das Curriculum der bereits bestehenden Fächer. Diese Debatten scheinen mir für den Weg einer Universität fast wichtiger als die hoffentlich auch zu erwartenden Finanzmittel, die eher ein Anreiz sind, kluge Ideen nicht nur zu denken, sondern auch baldigst mit ihrer Umsetzung zu beginnen.

Schon als Student habe ich mich über Heideggers Satz »Die Wissenschaft denkt nicht« geärgert, weil er eine richtige Beobachtung so verallgemeinert, dass ein grotesk falscher Satz entsteht. Als Präsident einer großen deutschen Universität befürchte ich manchmal, dass Heidegger mit Blick auf die Überlegungen deutscher Universitäten zu ihrer künftigen Gestalt wahrscheinlich analog formuliert hätte: »Die Universität denkt nicht«.

Der Exzellenz-Wettbewerb ist schon deswegen ein außerordentliches Ereignis, weil er Universität dazu provoziert, das zu tun, wofür sie eigentlich da ist: denken.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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