Humboldt-Universität zu Berlin

Wissenschaft und Glaube - Hinführung zum Thema

Eröffnungsvortrag zur konstituierenden Sitzung des evangelischen Hochschulrates am 9. Oktober 2007
Manchmal, verehrter Landesbischof Friedrich, lieber Präsident Kleiner, verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,

manchmal darf man Hinführungen zu gewichtigen Themen bei feierlichen Anlässen auch mit einer scheinbar ganz trivialen Erinnerung beginnen: Vor fünfundzwanzig Jahren besuchte ich bei einem Marburger Philosophen, den man inzwischen getrost als Nestor der deutschen Kant-Forschung bezeichnen darf, ein Seminar über die Nikomachische Ethik des griechischen Philosophen Aristoteles. Text, Seminar und Dozent beeindruckten mich seinerzeit tief, Letzterer schon allein dadurch, daß er die Veranstaltung allein aus der Oxforder griechischen Textausgabe bestritt und keine deutsche Übersetzung zu Rate zog. Am Ende des Seminars ging ich zu dem bewunderten Dozenten und legte einen Seminarschein zur Unterschrift vor – und zu meiner Verwunderung lehnte der Philosoph mit den Worten „Sie waren doch nie da“ die Unterzeichnung ab. Ich verwies, etwas eingeschüchtert, nicht auf ein von mir erstelltes Sitzungsprotokoll oder meine Diskussionsbeiträge zum Thema, sondern bemerkte nur schüchtern: „Ich glaube schon, daß ich immer da war“. Da blickte mich der Dozent etwas mitleidig an, sagte: „Glauben – na ja, Sie sind ja Theologe“ und unterzeichnete den Seminarschein. Vor fünfundzwanzig Jahren verwirrte mich diese alltagspraktische Konkretion einer philosophischen Position zum Verhältnis von Glauben, Wissen und Wissenschaft; heute amüsiert mich eher, wie Reinhard Brandt seine philosophische Grundoption zur Geltung brachte. Ich meine die Grundoption, daß in wissenschaftlichen Fragen Pro- und Contra-Argumente nur aus religionsfreien Überlegungen rekrutiert werden können, wie Brandt im Blick auf ethische Zusammenhänge jüngst noch einmal explizit formuliert hat[1] .

Natürlich wissen wir alle miteinander, daß diese Grundoption nur eine im Konzert der spätneuzeitlichen Verhältnisbestimmungen von Glauben und Wissen, von Glauben und Wissenschaft ist, vielleicht gar ein Versuch, im postsäkularen Zeitalter eine heftige Debatte zu pazifizieren. Es gibt bekanntlich extremere Positionen hüben und drüben – ein Pfarrerssohn aus Röcken in Sachsen, Zögling der berühmten Fürstenschule in Schulpforta und klassischer Philologe in Basel formulierte: „‚Glaube’ heißt Nicht-wissen-wollen, was wahr ist“[2] und noch schärfer: „Eine Religion, wie das Christentum, die sich an keinem Punkte mit der Wirklichkeit berührt, die sofort dahinfällt, sobald die Wirklichkeit auch nur an einem Punkte zu Rechte kommt, muß billigerweise der ‚Weisheit der Welt’, will sagen der Wissenschaft, todfeind sein. … Der ‚Glaube’ als Imperativ ist das Veto gegen die Wissenschaft“ [3] . Und wer solche Sätze meint, biographisch erklären zu können, muß sich nur klarmachen, mit welchen Aussagen der gegenwärtige Charles Simonyi Professor of the Public Understanding of Science der altehrwürdigen Universität Oxford gegen „den Glauben an den Glauben“ zu Felde zieht, insbesondere gegen die Ansicht, Glauben habe irgendeine positive Wirkung auf Moral und Ethik – und sei es die, daß auf der Basis des Glaubens stabile Begründungen bestimmter Optionen auf diesem Feld möglich sind, die mit guten Gründen geltend gemacht werden können. Eine gänzlich entgegengesetzte These vertrat der ziemlich frisch zum Katholizismus konvertierte einstige Vikar der Oxforder Universitätskirche und ehemalige Fellow des dortigen Oriel-College, als er 1852 anläßlich der geplanten Gründung einer katholischen Universität in Dublin seine Vorträge über Wesen und Umfang der Hochschulbildung vortrug, die den ersten Teil seines Buches „The Idea of a University“ bilden. Im zweiten Vortrag unter der Überschrift „Die Theologie als Zweig der Wissenschaft“ protestierte Newman gegen die Tendenz, „sogenannte Universitäten zu gründen, ohne für die Errichtung theologischer Lehrstühle an ihnen auch nur im geringsten Sorge zu tragen“ und setzte pointiert seine Ansicht dagegen, daß die Theologie sicher ein Zweig des Wissens sei und daher von der universitären Aufgabe, universales Wissen zu lehren, nicht ausgeschlossen sein dürfe[4] . Eine Universität ohne theologische Lehrstühle – wie sie bekanntlich in Deutschland erstmals mit den bürgerschaftlichen Gründungen Frankfurts und Hamburgs im zwanzigsten Jahrhundert eröffnet wurde – sei die institutionelle Konkretion der These, daß „das Gebiet der Religion … für die eigentliche Wissenschaft sehr unfruchtbar sei“ [5] . Auf den ersten Blick erinnert da viel an Schleiermacher, in gewisser Weise der heros eponymos dieser nach den Brüdern Humboldt genannten Universität, der eigentliche geistige Vater dieser Einrichtung, wie vor allem Harnack, aber auch andere zu unserem hundertjährigen Jubiläum im Jahre 1910 nachgewiesen haben. In Schleiermachers zweitem Sendschreiben an den Göttinger Vermittlungstheologen Lücke von 1829 ist am „gegenwärtigen Zustand der Naturwissenschaften“ fein beobachtet, „wie sie sich immer mehr zu einer umfassenden Weltkunde gestaltet, von der man vor noch nicht gar langer Zeit keine Ahnung hatte“ – und man muß ja nur paradigmatisch auf einige neuere Beiträge zur Debatte über die Freiheit des Willens aus Frankfurt und Bremen verweisen, um sich klarzumachen, daß auch in den gegenwärtigen Zeiten höchster Ausdifferenzierung naturwissenschaftlicher Forschung solche Totalitätsansprüche auf umfassende Wirklichkeitsdeutung nicht abgenommen haben, ja – polemisch formuliert – nach ihrem Zusammenbruch in der Theologie nun von anderen Disziplinen der Universität wahrgenommen werden, durchaus nicht zum allseitigen Vorteil. Dann bestünde die Funktion der Theologie an der Universität, wie ich vor einiger Zeit zu zeigen versucht habe, vor allem in ihrem ideologiekritischen und darin das interdisziplinäre Gespräch fördernden Impuls: Eine Theologie an der Universität bewahrt im besten Fall gemeinsam mit anderen Disziplinen wie der Philosophie eine Universität davor, daß an ihr Vorläufiges als ewig Gültiges und Hypothesen über die Wirklichkeit für die Wirklichkeit ausgegeben werden[6] .

Auf den ersten Blick scheinen sich, wie gesagt, der evangelische Universitätstheologe Schleiermacher und der zum Katholizismus konvertierte anglokatholische Theologe Newman in ihren Intentionen zu berühren – und doch ist, wie viele unter uns wissen, dem ganz und gar nicht so. Schleiermacher ist bekanntlich besorgt, daß der Knoten der Geschichte so auseinandergeht, daß „das Christentum mit der Barbarei und die Wissenschaft mit dem Unglauben“ zusammengeht, weil Christentum und Wissenschaft, Glauben, Wissen und Wissenschaft nicht mehr zueinander kommen. Das könnte auch bei Newman stehen. Aber die Therapievorschläge einer analog beschriebenen Lage sind ganz und gar unterschiedlich. Während Schleiermacher vor den Rückzugsgefechten der spekulativen Theologie warnt, die den Unterschied von Glauben und Wissen in der vermeintlichen Synthese beider aufzuheben gedenkt, könnte man Newman unter exakt dieses Rubrum zählen und übrigens auch eine ganze Anzahl von Universitätstheologen aus Berlin im neunzehnten Jahrhundert und München im zwanzigsten Jahrhundert. Schleiermacher hat dagegen in seinen Reden den Bereich des Glaubens vom Wissen abgerückt, einer eigenen Provinz im Gemüt zugewiesen hat und im ersten Sendschreiben an Lücke diese Begründungsfigur wortreich verteidigt. Im zweiten Sendschreiben weist er daher auch die Vorstellung zurück, daß „mein Glaube an Christum von dem Wissen … her sei“ [7] . Schleiermacher ist fest davon überzeugt, daß nur eine bestimmte Vorstellung von der Natur des Glaubens und seine Bestimmung von der Frömmigkeit her sicherstellt, daß „ein wahrer Philosoph auch ein wahrer Gläubiger sein und bleiben kann, und ebenso, daß man von Herzen fromm sein kann und doch den Mut haben und behalten, sich in die tiefsten Tiefen der Spekulation hineinzugraben“ [8] . Der Kirchenhistoriker wird sich hüten, nun in den Streit der systematischen Theologen einzugreifen und die Frage zu traktieren oder gar zu entscheiden, ob die Schleiermachersche Wendung gegen die große Tradition der spekulativen Theologie leistet, was sie für das Verhältnis von Glauben und Wissen, Wissenschaft und Glauben austragen soll, ob sein Neuansatz vielleicht nicht selbst eben das Rückzugsgefecht darstellt, das der Berliner Theologe in den Entwürfen von Kollegen, auch von Berliner Kollegen, erkennt und heftig bekämpft. Wollte der Kirchenhistoriker in einer metabasis eis allo genos fortfahren, dann würde er eine Linie von Paulus zu Luther entwickeln, die das, was ich vorhin abgekürzt den ideologiekritischen Impuls der Theologie genannt habe, als vom Kreuz her zu formulierende Kritik an der Weisheit der Welt begreift, die zugleich doch mit allen Mitteln und aller Kunst eben dieser Weisheit der Welt entfaltet wird. Doch dies zu entfalten, ist hier und heute weder meine Aufgabe noch mein Thema. Mir kam es nur darauf an, einleitend zu dokumentieren, daß die gemeinsame Arbeit an der Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen, von Wissenschaft und Glauben zunächst präzise Arbeit an der Bestimmung dieser Termini und dahinterstehender Phänomene voraussetzt, auch – diese Seitenbemerkung werden Sie dem Kirchenhistoriker verzeihen – ein gerüttelt Maß Kenntnis der Tradition, um das Niveau der verschiedenen Verhältnissetzungen vergangener Jahrhunderte tunlichst nicht zu unterschreiten.

Wie gehen wir nun aber in einer Wissenschaftslandschaft miteinander um, in der – zurückhaltend formuliert – nicht nur die Relevanz des christlichen Glaubens für das Wissen und die Wissenschaft bezweifelt wird, sondern die Verhältnissetzung derselben innerhalb der Theologie nicht erst seit Schleiermacher und Newman, sondern – wie man gegen die berühmte Regensburger Rede ja deutlich sagen muß – von jeher, seit Tertullian und Clemens, seit Thomas und Ockham strittig ist? Zum einen so, daß wir aus den sehr disparat verlaufenden Gesprächslagen und Fronten erkennen, daß jeder Dual – beispielsweise: hie die einen, dort die anderen, hüben die Freunde des Glaubens und drüben die Feinde – den notwendigen präzisen Bestimmung und der Sache von Glauben wie von Wissenschaft abträglich ist. Zum anderen so, daß wir uns darum bemühen, so über das Verhältnis von Glauben und Wissen, Wissenschaft und Glauben nachzudenken, daß erkennbar wird, inwiefern solches Nachdenken frei macht – frei macht, selbst Verantwortung für Wissenschaft und Forschung zu übernehmen und zugleich andere zu dieser Verantwortung zu befreien getreu der wunderbaren biblischen Verheißung „Die Wahrheit wird euch freimachen“ (die übrigens einige deutsche Universitäten über ihre Gebäude oder in ihnen an prominenter Stelle haben anbringen lassen). Zur Verantwortung befreien: Mit dieser Aufgabenbeschreibung für einen evangelischen Hochschulbeirat habe ich zugleich, wie es meine Aufgabe war, auf den Festvortrag von Matthias Kleiner hingeführt. Es mir, wie Sie auch ohne viele Worte meinerseits ahnen, ein besonderes Vergnügen, den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Mitglieder des Hochschulbeirates ebenso wie die des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland hier in meinem Hause zu begrüßen und Ihnen allen zu dem, was heute beginnen soll, guten Mut und Gottes reichen Segen zu wünschen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität


[1] R. Brandt, Der Gott in uns und der Gott für uns bei Kant (Vortrag auf der Tagung „Religion und Philosophie im Widerstreit?“ der Gesellschaft für interkulturelle Philosophie, Köln, 14. Juli 2006; wird in den Kongreßakten publiziert; z.Zt. im Internet unter: http://www.staff.uni-marburg.de/~brandt2/Deusinnob2.html).

[2] F. Nietzsche, Der Antichrist, Werke Bd. II, ed. K. Schlechta, München 81977, 1218 (nr. 52).

[3] F. Nietzsche, Der Antichrist, Werke Bd. II, ed. K. Schlechta, München 81977, 1212 (nr. 47).

[4] J.H. Kardinal Newman, Vom Wesen der Universität. Ihr Bildungsziel in Gehalt und Gestalt, übers. v. H. Bohlen, Ausgewählte Werke Bd. V, Mainz 1960, 27.

[5] Kardinal Newman, Vom Wesen der Universität, 29.

[6] Ch. Markschies, Evangelische Theologie an der Universität, in: Was ist gute Theologie? Hg. v. W. Huber, Stuttgart 2004, (99-111) 103.

[7] F.D.E. Schleiermacher, Theologische Schriften, hg. u. eingel. v. K. Nowak, Texte zur Philosophie- und Religionsgeschichte, Berlin 1983, 441.

[8] Schleiermacher, Theologische Schriften, 448f.

Kontakt

Abteilung Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement (VIII)

Online-Redaktion

E-Mail: hu-online@hu-berlin.de