Humboldt-Universität zu Berlin

Humboldt-Universität zu Berlin | Über die Universität | Geschichte | Rektoren und Präsidenten | Christoph Markschies | Reden des Präsidenten | Wissenschaftskommunikation im öffentlichen Raum – welche Rollen spielen die Universitäten?

Wissenschaftskommunikation im öffentlichen Raum – welche Rollen spielen die Universitäten?

Begrüßung anlässlich der Tagung „Wissenschaftskommunikation im öffentlichen Raum“ am 12. April 2007

Wenn der Titel einer Tagung eine Frage enthält – wie beispielsweise in der Formulierung: „Wissenschaftskommunikation im öffentlichen Raum: Welche Rolle spielen die Universitäten?“ ist es, meine sehr verehrten Damen und Herren, keine gute Idee, wenn in einem Grußwort versucht wird, die Frage gleich zu beantworten. Also in unserem Falle der Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, der die Ehre hat, das veranstaltende Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik zu den Zimelien seiner Einrichtung zu zählen, Erwägungen zur Rolle der Universitäten bei der Wissenschaftskommunikation im öffentlichen Raum vorträgt. Sie könnten nach Lage der Dinge und angesichts der für ein Grußwort charakteristischen Kürze ohnehin nur in der Trivialität bestehen, daß die Rolle der Universitäten schon ganz gut ist, die der Humboldt-Universität natürlich besonders, aber durchaus noch steigerungsfähig ist. Nein, meine Damen und Herren, die Titelfrage Ihrer Zusammenkunft müssen Sie auf Ihrer Zusammenkunft schon selbst beantworten. Da kann und will ich nicht helfen.

Da mir aber ein liebenswürdiger Journalist vor einigen Wochen in einer Berliner Lokalzeitung bescheinigt hat, ich sei als Kirchenhistoriker ausschließlich an der Vergangenheit interessiert und hätte keinerlei Ideen für die Gegenwart der Universität, füge ich mich wenigstens für dieses Grußwort in die mir da zugeschriebene Rolle und frage, welche Rolle Universitäten bei der Wissenschaftskommunikation im öffentlichen Raum schon gespielt haben und konzentriere mich auf meine eigene, fast zweihundertjährige Einrichtung – ich meine nämlich ganz unbescheiden, daß es an der Berliner Universität eine Tradition gibt, die für die Leitfragen der Tagung, zu der Sie sich versammeln, von gewichtiger Bedeutung ist: Wenn Sie in den nächsten beiden Tagen nach der Relevanz von Wissenschaftskommunikation, nach bisherigen Projekten und Erfahrungswerten, geeigneten Strategien sowie nach den Möglichkeiten, den Dialog mit der Gesellschaft zu intensivieren, fragen wollen, dann setzen die sechzehn Kosmos-Vorträge, die Alexander von Humboldt im großen Saal der Singakademie am Festungsgraben vom 6. Dezember 1827 bis zum 27. April 1828 vor mehr als achthundert Besuchern hielt, Maßstäbe, an denen man sich noch heute orientieren kann. Daß damals im frisch fertiggestellten Gebäude der Singakademie mehr als die Hälfte des Auditoriums aus Frauen bestand, war ebenso ungewöhnlich wie die Tatsache, daß sich nicht nur der spröde König Friedrich Wilhelm III. in das Gebäude bemühte, sondern auch einige Maurermeister unter den Zuhörern saßen, wie Humboldt selbst bezeugte. Die Reaktionen auf die Vorträge waren so begeistert, daß man angesichts oft deutlich magerer Reaktion auf eigene Referate am Wahrheitsgehalt der Beschreibungen zweifelt: „Nie habe ich einen Menschen in anderthalb Stunden so viele und interessante und neue Ansichten und Tatsachen vortragen gehört“ (Freiherr von Bunsen); „Achthundert Menschen atmen kaum, um einen zu hören. Es gibt keinen großartigeren Eindruck, als die irdische Macht zu sehen, wie sie dem Geiste huldigt; und schon deshalb gehört Humboldts jetziges Wirken in Berlin zu den erhebendsten Erscheinungen der Zeit“ (von Holtei). Für den Wahrheitsgehalt der Goethe zugeleiteten Beschreibungen Holteis, der damals Dramaturg am Königsstädtischen Theater am Alexanderplatz war, spricht die von Lea Mendelssohn Bartholdy mitgeteilte Beobachtung aus einer Vorlesung, daß in ihrem Verlauf nur zwei Menschen ohnmächtig herausgetragen worden seien – wenn kaum geatmet wird, um den einen zu hören, ist dies in der Tat eine erstaunlich niedrige Quote. Natürlich darf man, wenn man fragen will, was an diesem ersten Versuch von „Science goes public“ maßstabsetzend war, nicht nur die Begeisterten fragen. Sondern muß auch auf die Spötter blicken. Moritz Saphir, seines Spotts wegen gefürchtet, schrieb im Berliner Courier: „Der Saal faßte nicht die Zuhörer, und die Zuhörerinnen faßten nicht den Vortrag“. Gut, Äußerlichkeiten und Gehässigkeiten. Was bleibt maßstabsetzend an diesen ersten Versuchen, Wissenschaft in eine größere Öffentlichkeit zu bringen? Zunächst der Versuch von Verdichtung: Fünf Jahre Südamerika und viele weitere Reisen verdichtet auf sechzehn Vorträge. Diese Form der Verdichtung bleibt maßstabsetzend, vielleicht pointierter: in Zeiten neuer Unübersichtlichkeit und perniziöser Spezialisierung besonders herausfordernd. Ohne energische Anstrengungen von Verdichtung wird jeder Versuch von Wissenschaftskommunikation in der Gegenwart kaum achthundert, tausend Zuhörer in die Singakademie und anderswohin locken. Ich versage mir, diese Verdichtung jetzt noch näher zu analysieren, beispielsweise auf die besonderen Formen der Verdichtung durch Bildern und Graphiken in den Veröffentlichungen Alexander von Humboldts einzugehen, auf seine Transmedialität, wie Otmar Ette glücklich formuliert hat, und komme auf einen zweiten Punkt der Maßstäblichkeit der Kosmos-Vorlesungen. 

Maßstabsetzend bleibt an den Kosmos-Vorlesungen sodann der Versuch, über das disziplinäre Wissen hinaus, über Botanik, Zoologie, Mineralogie, Geologie, Geographie, Ethnologie, Geschichts- und Sprachwissenschaft hinaus, zu einer Synthese spezialwissenschaftlicher Erkenntnis vorzustoßen und der Öffentlichkeit einen Blick aufs Ganze zu präsentieren, Besonders und Allgemeines, Sinnlichkeit und Abstraktion zu synthetisieren. „Ich habe“, schreibt Humboldt in seinem 1845 bis 1865 publizierten Werk „Kosmos“, das auf den Vorlesungen aufbaute und 87 000 mal gedruckt wurde, „den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in Einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüt ergötzt“. Die ganze Welt in einem Buch oder, mit den traditionsreichen Worten, die Humboldt bemüht: „Die Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in Vielfalt, Verbindung des Mannigfaltigen in Form und Mischung“. Ist das wirklich noch maßstabsetzend? Der Wissenschaftsrat hat jüngst festgestellt, daß die Vorstellung von der Einheit der Wissenschaft, die im neunzehnten Jahrhundert und insbesondere bei den Gründervätern der Humboldt-Universität zu den schlechterdings basalen wissenschaftstheoretischen Grundannahmen gehörte, heute keine Rolle mehr spiele. Aber hilft der Öffentlichkeit eine Präsentation der in zwei Kulturen gespaltenen Universität? Der wechselseitigen Ignorantia von Geistes- wie Naturwissenschaftlern? Alexander von Humboldt besuchte in der Berliner Universität noch im vorgerückten Alter chemische wie klassisch-philologische Vorlesungen; vielleicht wäre die Wissenschaftskommunikation der Universitäten noch erfolgreicher, wenn sich auch noch heutigentags Chemiker in klassisch-philologische Vorlesungen et vice versa verirren würden. Der Potsdamer Literaturwissenschaftler und Humboldt-Editor Ottmar Ette hat der Humboldtschen Wissenschaft gerade wegen dieses Interesses an der Einheit der Wissenschaft, am „Weltbewußtsein“, wie Humboldt sagt, eine Relevanz im Netzzeitalter bescheinigt. Das liest der Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin natürlich gern.

Schließlich bleibt an den Kosmos-Vorlesungen maßstabsetzend der entschlossene Versuch, spannend zu werden und durch die Präsentation Faszination auszulösen. Im Jahr der Geisteswissenschaften, in dem wir uns gerade befinden, zeigt sich wieder, daß staatstragende Reden über die Bedeutung der Geisteswissenschaften für die Bewahrung des christlichen Abendlandes wenig nützen und kaum Begeisterung auslösen. Geisteswissenschaftliche Forschung wird nur dann in einer breiten Öffentlichkeit für bedeutsam gehalten, wenn sie fasziniert. Die drei Kilo schwere, erneute Publikation des Humboldtschen Kosmos-Werkes, die Hans Magnus Enzensberger und Franz Greno im September 2004 vorlegten, ist im Grunde ein Beispiel für solche Faszination. Ein unverwartet großes Medienecho war die Folge, Alexander von Humboldt erschien auf einem Titelbild des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ und die „Welt“ titelte „Neue Männer braucht das Land“ und hatte in Humboldt den Prototyp dieses neuen Mannes gefunden. Enzensberger hatte es vermocht, für Humboldt zu faszinieren, so wie Humboldt es einst vermocht hatte, für Ergebnisse seiner Forschungen zu faszinieren.

Nun bin ich doch am Ende meines Grußwortes wieder bei etwas unendlich Trivialem gelandet: Unaufgebbar für die erfolgreiche Wissenschaftskommunikation der Universitäten ist Persönlichkeit, ist die entsprechende Persönlichkeit des Wissenschaftlers, die Faszination zu wecken vermag. Davon lese ich in den hochschulpolitischen Texten der Verantwortlichen, aber auch der Journalisten gegenwärtig herzlich wenig. Vielleicht liegt hier eines der Probleme der Wissenschaftskommunikation im öffentlichen Raum, das Sie auf Ihrer Tagung bedenken können, bedenken sollten. Denn in der Ausbildung von Persönlichkeit liegt doch wohl eine zentralen Aufgaben der Universität, hier spielt sie ihre zentrale Rolle, die ihr erst ermöglicht, Rollen in der Wissenschaftskommunikation zu übernehmen. Ihrer Tagung wünsche ich schon aus ganz ureigenem Interesse an der Öffentlichkeitswirkung universitärer Forschung einen guten Verlauf.

Kontakt

Abteilung Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement (VIII)

Online-Redaktion

E-Mail: hu-online@hu-berlin.de