„Entscheidend ist die richtige Atmosphäre“
Prof. Dr. Silvia von Steinsdorff
Abbildung: Matthias Heyde
Prof. Dr. Silvia von Steinsdorff, Professorin aus dem Fachgebiet für Vergleichende Demokratieforschung und Politische Systeme Osteuropas der Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät, ist für ihre herausragenden Leistungen in der akademischen Lehre mit dem Preis für gute Lehre der Humboldt-Universität 2016 ausgezeichnet worden. Im Interview spricht sie über die Auszeichnung, die Praxis von guter Lehre und kommenden Projekten.
Frau Prof. von Steinsdorff, herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung. Unter 69 Nominierungen fiel die Wahl am Ende auf Sie.
Silvia von Steinsdorff: Ich habe ehrlich gesagt überhaupt nichts geahnt und war dementsprechend überrascht. Studierende aus meinem letzten Projektseminar haben sich offenbar mit einem Vorschlag an meine Mitarbeiterin gewandt, die die Nominierung dann in die richtige Form gebracht hat. Sie hat mir jedoch nichts davon erzählt.
Um welche Lehrveranstaltung handelt es sich konkret?
Um ein einjähriges Projektseminar für Masterstudierende der Sozialwissenschaften, in dem die aktuellen Entwicklungen der Ukraine und deren Auswirkungen auf Europa und die Welt analysiert wurden. Hierzu haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam verschiedene öffentliche Diskurse und Deutungsmuster in West- und Osteuropa, Russland und den USA methodisch und theoretisch untersucht, um anschließend fundierte Aussagen zu treffen. Besonders wichtig war mir, dass keine vorgefertigten politischen Meinungen gelten, sondern Offenheit und Diskussionsfreudigkeit und das ständige Hinterfragen zählen. Es gibt eben nicht die „eine richtige Deutung“. Das zu vermitteln, betrachte ich als meinen Job.
2010 wurden Sie bereits fakultätsintern für ihre gute Lehre ausgezeichnet.
Ja, die Auszeichnung damals galt einem deutsch-russischen Projekt zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus russischer und aus deutscher Sicht, das wir in Kooperation mit der Universität Samara realisiert haben. Da haben wir Studierende beider Universitäten mit Videokonferenzen zusammengebracht. Das war sehr aufwendig, aber auch sehr schön. Das ersetzt die Präsenzlehre nicht, ist aber eine sehr gute Ergänzung.
Worauf kommt es Ihnen bei guter Lehre an?
Das ist abhängig vom Stadium des Studiums: Im Bachelor geht es eher um das Vermitteln von Grundlagen, während im Master das wechselseitige Engagement in den Vordergrund tritt. Dabei lerne auch ich immer wieder dazu und profitiere vom Einsatz der Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer. Für mich selbst lege ich großen Wert auf eine gründliche Vorbereitung: ein gutes Vorwissen, geeignete Methoden und eine gewisse Expertise der Region. In meinen Lehrplänen lasse ich aber auch genügend Freiraum für Anliegen und Themen der Studierenden. Die wechselseitige Erfahrung und der Lerneffekt auf beiden Seiten, der dabei zustande kommt, bereiten mir große Freude.
Wie lässt sich die Idee der guten Lehre in der Praxis umsetzen?
Entscheidend ist die richtige Atmosphäre. Das heißt einen Raum für eine Diskussion zu schaffen, in dem akademische und menschliche Prinzipien zum Tragen kommen. Diese Atmosphäre ist gerade bei politisch sehr aufgeheizten Themen, um die es in den Sozialwissenschaften oft geht, unerlässlich. Eine gute Forschung ist auch erst dann möglich, wenn man die Studierenden einbindet. Dazu eignen sich auf zwei Semester ausgelegte Projektseminare wie das zur Ukraine-Krise besonders gut.
Welche Projekte werden Sie in Zukunft am Institut für Sozialwissenschaften anbieten?
Für das kommende Sommersemester plane ich Forschung und Lehre zum Thema „constitutionalism under stress“. Dieses Projektseminar findet im Rahmen der Princeton-Humboldt-Initiative statt, die mit finanzieller Unterstützung der Exzellenzinitiative für zwei Jahre ermöglicht wurde. Das Programm heißt „Strategic Partnership Intiative“ und fördert den vierwöchigen Austausch von fortgeschrittenen Studierenden und Lehrenden der Humboldt- und der Princeton-Universität auf interdisziplinäre Weise, also in Zusammenarbeit mit Juristen und Politikwissenschaftlern. Die Studierenden sollen im Projektseminar zu konfliktbeladenen Themen wie der Entwicklung von europäischem Verfassungsraum oder der Globalisierung von Menschenrechten forschen. In einem Spannungsverhältnis stehen dabei Internationale Gerichtshöfe, die diese durchsetzen und auf der anderen Seite die Gegenbewegung: dass liberale Konstitutionen beispielsweise in Polen oder Ungarn verändert oder ausgehebelt werden. Erwähnenswert ist ebenfalls, dass im kommenden Wintersemester zehn Geflüchtete in den deutsch-türkischen Masterstudiengang „GeT MA“ regulär aufgenommen werden. Das ist deutschlandweit eine Premiere.
Das Interview führte Markus Lemke
Zur Person
Silvia von Steinsdorff ist seit Februar 2009 Inhaberin der Professur für Vergleichende Demokratieforschung und die politischen Systeme Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Darüber hinaus ist sie seit 2009 wissenschaftliche Leiterin der Internationalen Masterstudiengänge am Institut für Sozialwissenschaften sowie seit 2015 Direktorin der Berlin Graduate School of Social Sciences. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vorwiegend mit dem Spannungsfeld von Recht und Politik (dabei insbesondere Verfassungsgerichten und Verfassungspolitik), mit der Organisation und Bedeutung von Parlament und Parteien sowie Demokratisierung und Transformation, vorwiegend in Osteuropa und der Türkei.