Polyzentrik und Pluralität vormoderner Christentümer (FOR 2932)

Auf einen Blick

Laufzeit
10/2021  – 09/2024
DFG-Fachsystematik

Mittelalterliche Geschichte

Förderung durch

DFG Kolleg-Forschungsgruppe DFG Kolleg-Forschungsgruppe

Projektbeschreibung

Die geplante Kolleg-Forschungsgruppe (KFG) will mit der Polyzentrik und Pluralität vormoderner Christentümer ein Phänomen ergründen, das für die Geschichte vom 7. bis zum 18. Jahrhundert im globalen Maßstab von Bedeutung ist. Dieses Vorhaben reicht weit über den religiös-kirchlichen Rah-men hinaus: Die vormodernen Christentümer brachten als spezifische Institution die Kirchen hervor, die grundlegende Vorstellungen zur Ordnung der Welt entwickelten und Prozesse der Institutionenbil-dung generell prägten. Sie formten die Sinnhorizonte und Lebensverhältnisse von Männern und Frau-en. Durch Transfer- und Austauschprozesse trugen sie maßgeblich dazu bei, die verschiedenen Re-gionen Europas und der Welt miteinander zu vernetzen. Die Christentümer sind zugleich in ihrer Ge-nese nicht ohne die institutionellen und dogmatischen Abgrenzungen sowohl intern als auch von an-deren, konkurrierenden Traditionen zu denken. Die historische Analyse vormoderner Christentümer erfordert daher deren umfassende Kontextualisierung ebenso wie den Blick auf interreligiöses En-tanglement. Zugleich eröffnet die Frage nach den vielfältigen, sich verschiebenden, immer neue Kon-stellationen ausbildenden Christentümern einen Zugang zur Geschichte der globalen Verflechtung.
Die empirischen historischen Kenntisse zur Geschichte der Christen wurden in den letzten Jahrzehn-ten durch zahlreiche Einzelstudien geradezu revolutioniert. Doch noch fehlen Ansätze, die die Plurali-tät, die Polyzentrik und die Perspektivenabhängigkeit von Zugehörigkeiten und Ordnungen systema-tisch erfassen und in ihrer historischen Komplexität abbilden. Dies soll in der beantragten Kolleg-Forschungsgruppe gelingen. Voraussetzung hierfür ist die Abkehr von essentialistischen Kategorien, denen die Behauptung dogmatischer Wahrheit, die Kirchenorganisation oder gar die Grenzziehungen moderner Staaten zu Grunde liegen. Stattdessen verstehen wir Christentümer als Interaktionsge-meinschaften, die sich auf Jesus Christus beziehen und durch Interaktion innere Kohärenz sowie äußere Grenzen erzeugen. Wo sich Interaktion verdichtet, bilden sich Zentren, wo sie ausdünnt, ent-stehen Grenzen. Was jeweils mit dem Begriff Christentümer gefasst wird, ist daher fluide und per-spektivenabhängig.
Auf diesem Wege streben wir eine dreifache Dezentrierung der Forschung an: Methodisch wollen wir die Perspektive der AkteurInnen den teleologischen Narrativen in der Geschichte der Christentümer entgegensetzen. In geographischer Hinsicht gilt es, die eurozentrische Perspektive zu überwinden. Inhaltlich soll die für HistorikerInnen unbrauchbare Übernahme dogmatischer Bewertungen, die nicht-europäische oder nichtlateinische Kirchenorganisationen und theologische Traditionen als „Abspal-tung“ betrachtet, aufgebrochen werden.