„Auf dem Weg zur Normalität? LGBTQ+-Familien und ihr Kampf um Anerkennung“

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Open Humboldt
In Ihrem Buch zeigen Sie, wie LGBTQ+-Familien und queere Familien trotz rechtlicher Fortschritte immer noch mit Ungleichheiten und Diskriminierungen konfrontiert sind. Interview mit den Autor*innen.

In Ihrem Buch zeigen Sie, wie LGBTQ+-Familien – also lesbian, gay, bisexual, trans* und queere Familien – trotz rechtlicher Fortschritte immer noch mit Ungleichheiten und Diskriminierungen konfrontiert sind. Wo erleben die 19 von Ihnen befragten Familien im Alltag die größten Hürden? Interview anlässlich Book Launch am 24. November an der HU.

Julia Teschlade: Viele Familien antworteten auf unsere Frage nach Diskriminierung zunächst, dass dies im Alltag keine große Rolle spiele. Doch im Erzählen zeigten sich zahlreiche Herausforderungen. Das beginnt schon bei der Familiengründung: Kinderwünsche müssen meist sehr sorgfältig geplant werden und sind oft mit rechtlichen und praktischen Hürden verbunden. Nach der Geburt setzen sich diese fort – etwa, weil das Recht bislang nur zwei Eltern vorsieht. Für Mehrelternfamilien, also Familien mit mehr als zwei Eltern, birgt dies große Unsicherheiten, etwa im Krankheits- oder Todesfall. Bei lesbischen Paaren wird zudem nur die gebärende Mutter automatisch anerkannt, die Partnerin muss das Kind erst aufwendig adoptieren. Auch im Alltag erleben viele subtile wie offene Anfeindungen. Eine Mutter beschrieb das so: „In dem Moment, wo man Familie mit Kind öffentlicher lebt, wird man stärker angefeindet.“ Viele berichten, dass sie immer wieder erklären und die „Normalität“ ihrer Familie behaupten müssen.

Warum wirken diese Ungleichheiten so tief in die Lebensrealität hinein?

Christine Wimbauer: Diese rechtlichen und sozialen Ungleichheiten greifen tief in die Praktiken von LGBTQ+-Familien ein. Zweimütterpaare erleben die Pflicht zur Stiefkindadoption trotz Ehe als Herabsetzung der nicht-leiblichen Mutter. In Mehrelternfamilien fehlt den sozialen Eltern fast jedes Recht, was Unsicherheiten schafft und alltägliche Entscheidungen kompliziert macht. Und das alte Transsexuellengesetz, das jüngst vom Selbstbestimmungsgesetzt (SBGG) abgelöst wurde, vermittelte trans* Eltern (Eltern die ihren Geschlechtseintrag im Personenstand geändert haben) über Jahre, dass ihre Elternschaft rechtlich nicht vorgesehen ist. Viele empfanden das als Abwertung. Ein Befragter erzählte, er habe sich gezwungen gefühlt, zwischen Familiengründung und der Änderung seines Geschlechts zu entscheiden: „Ich habe für mich überlegt: Was ist mir wichtiger? Die Entscheidung zum Kind, zur Heirat war letztendlich für mich nur unter dem Umstand möglich, dass das andere eben nicht ging parallel.“ Sie zeigen, dass Kinderwünsche in LGBTQ+-Familien oft mit besonderen Hürden verbunden sind.

Welche Wege in die Elternschaft haben sich in Ihren Interviews als besonders typisch herausgestellt, und wie unterscheiden sich diese Erfahrungen von denen heterosexueller Paare?

Mona Motakef: LGBTQ+-Personen wurde lange abgesprochen, überhaupt Familien gründen zu können. Dies verdeutlicht Carolin Callas, die mit ihrer Partnerin ein Kind hat: „Und wenn man als geouteter Jugendlicher offen lebt, dann sagt das keiner zu einem: ‚Wenn du mal verheiratet bist, wenn du mal Kinder hast‘ – das passiert nicht. Und da entwickelt man sich automatisch hin“. Wir zeichnen daher die oft langen und steinigen Wege von LGBTQ+-Personen in die Elternschaft nach sowie die gesellschaftlichen Hürden, die sie bei ihrer Elternwerdung überwinden müssen. Erst wenn sie sich selbst als Eltern vorstellen können, können sie im zweiten Schritt darüber nachdenken und aushandeln, welche Optionen zur Familienwerdung ihnen offenstehen und welche sie nutzen wollen. Im dritten Schritt folgt dann die konkrete Umsetzung. Hierbei zeigen sich große Unterschiede: Wer wie Eltern werden kann, will, soll und darf, ist je nach Zusammensetzung der werdenden Eltern rechtlich, medizinisch, biologisch und persönlich unterschiedlich und äußerst komplex.

Ein zentrales Konzept Ihrer Studie ist das „Normalisierungshandeln“ von LGBTQ+-Familien. Können Sie beschreiben, welche Strategien Familien entwickeln, um ihre ‚Normalität‘ sichtbar zu machen?

Julia Teschlade: Einige Befragte präsentieren ihre Familien geradezu als „Musterfamilien“, wie etwa Gustav Gernsheim: „Wir sind ne Familie, wir haben alle irgendwie Arbeit. Wir wohnen zusammen. Wir ziehen unsere Kinder zusammen auf. Wir sind vollbeschäftigt“. Neben der Betonung der eigenen „Normalität“ sind weitere Strategien, wie die Familien Normalität herstellen (müssen), praktischer Art. Eine Befragte schildert uns etwa, wie sie ihre neuen Nachbar*innen nach ihrem Einzug mit selbstgebackenem Kuchen überraschten. Sie zogen von Tür zu Tür, damit sich niemand, so Carolin Callas „das Maul zerreißen muss“. Als lesbisches Paar agieren sie präventiv, da sie fürchten, dass andere Menschen abfällig über sie sprechen, weil sie nicht heterosexuell leben.

Sie stellen fest, dass die Anpassung an gesellschaftliche Familiennormen bei LGBTQ+-Familien nicht unpolitisch ist, sondern eine Überlebensstrategie. Welche Folgen hat das für die betroffenen Familien?

Christine Wimbauer: Unsere Fälle zeigen, dass die Herstellung von Normalität, das doing normality, für die Familien aufwendig und auch sehr anstrengend ist. Dieser Aufwand muss als Teil der angestrebten Normalisierung zudem unsichtbar gemacht werden – die Familien leisten also doppelte Mehrarbeit. Viele Familien strengen sich besonders an, um als „gute Familien“ zu gelten – was wir als „Hypernormalisierung“ herausgearbeitet haben. Grund dafür ist, dass Normalisierungsarbeit eine Grundvoraussetzung dafür ist, das eigene Leben vor Angriffen, Abwertungen und Verletzungen von außen zu schützen. Durch das Normalisierungshandeln der LGBTQ+-Familien können aber auch neue Selbstverständlichkeiten an Bedeutung gewinnen und vielleicht zur neuen Normalität (new normal) werden.

Ihr Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem rechtliche Reformen wie das Selbstbestimmungsgesetz neue Impulse setzen, aber auch neue Ausschlüsse sichtbar werden. Welche Weichen müssten Politik und Gesellschaft jetzt stellen, damit LGBTQ+-Familien nicht länger um Anerkennung kämpfen müssen, sondern selbstverständlich dazugehören?

Mona Motakef: Dazu braucht es ein breites Bündnis aus Recht, Politik und Zivilgesellschaft. Unerlässlich ist die konsequente rechtliche Gleichstellung: Die Pflicht zur Stiefkindadoption muss abgeschafft, Mehrelternschaft mit mehr als zwei Personen ermöglicht und geschlechtsneutrale Elternbezeichnungen in der Geburtsurkunde eingeführt werden. Wir benötigen barrierearme Zugänge zu reproduktiven Verfahren, sofern sie globale Ungerechtigkeiten nicht weiter verfestigen. Ebenso wichtig ist wirksamer Diskriminierungsschutz und der Abbau struktureller Ungleichbehandlungen, etwa im Gewaltschutz, in der Erwerbsarbeit und im Gesundheitswesen. Nicht zuletzt sollte schon Kindern und Jugendlichen vermittelt werden, dass Familie vielfältig ist und sich nicht allein über biologische Verwandtschaft definiert, sondern darüber, dass Menschen dauerhaft und zuverlässig füreinander Verantwortung übernehmen – egal, welchen Geschlechts und wie viele.

Die Fragen stellte Ljiljana Nikolic

Weitere Informationen

Der Book Launch findet am 24. November um 18 Uhr an der Juristischen Fakultät, Bebelplatz 2, 10117 Berlin, Raum E25, statt.

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