Was ist Intelligenz?

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Open Humboldt
Sie ist Informatikerin, er Philosoph. Beide denken darüber nach, was Intelligenz ausmacht – bei Menschen und bei Maschinen. Wir haben Verena Hafner und Michael Pauen gefragt: Was ist Intelligenz?

Sie ist Informatikerin, er Philosoph. Beide denken darüber nach, was Intelligenz ausmacht – bei Menschen und bei Maschinen. Während Verena Hafner Roboter auf neue Art und Weise lernfähig und damit intelligent machen will, schreibt Michael Pauen in seinem neusten Buch über den unterschätzten Wert der sozialen Intelligenz und die Notwendigkeit, sie weiterzuentwickeln – auch um zu einem klugen Umgang mit künstlicher Intelligenz zu gelangen. Wir haben beiden dieselbe Frage gestellt: Was ist Intelligenz?

Verena Hafner

Ein Roboter wird oft dann als intelligent bezeichnet, wenn er lernfähig ist, sein Verhalten in einer bestimmten Situation also zielgerichtet an seine Umgebung anpassen kann. Maschinen sind aber nicht entweder intelligent oder nicht intelligent, es gibt Abstufungen. Das heißt, bestimmte Verhaltensweisen sprechen für eine bestimmte Intelligenz. 

Da stellt sich die Frage: Wie lässt sich Intelligenz messen? Für Maschinen gibt es den berühmten Turing-Test, den der Mathematiker Alan Turing 1950 vorschlug. Dabei unterhält sich eine Person über ein Computer-Terminal mit einem Menschen und einer Maschine und stellt beliebige Fragen. Der Test gilt als bestanden, wenn die befragende Person überzeugt ist, dass es sich bei der Maschine um einen Menschen handelt. Das hat philosophische Diskussionen darüber ausgelöst, ob eine Maschine, die den Test besteht, tatsächlich intelligent ist oder ob da ein cleveres Programm nur vorgibt, intelligent zu sein. Mittlerweile unterscheidet man schwache und starke künstliche Intelligenz. Bei schwacher künstlicher Intelligenz hat als Begriff vor allem in der Psychologie eine Rolle gespielt. Bei der Erforschung kognitiver Leistungen stellten Psycholog*innen fest, dass jemand, der gut rechnen kann, häufig auch gut darin ist, verbale Probleme zu lösen. Daraus ergab sich die Frage, ob dem ein gemeinsamer Faktor zugrunde liegt. Und diesen Faktor bezeichnete man als Intelligenz, als Maß dafür haben Psycholog*innen den Intelligenzquotienten entwickelt. Versucht man, Intelligenz messbar zu machen, ist eines der großen Probleme die Übertragbarkeit: Taugt der IQ-Test bei Menschen, auch wenn sich ihre kulturellen Hintergründe unterscheiden? Wie steht es um die Intelligenz bestimmter Tiere und die von artifiziellen Systemen? Aus philosophischer Sicht ist Intelligenz ein Maß für eine allgemeine Problemlösungsfähigkeit: Eine Person ist dann intelligenter, wenn sie besser darin ist, Probleme zu lösen. Das bedeutet, dass sie vor allem in der Lage ist, neue Intelligenz zeigt die Maschine intelligentes Verhalten, hat aber selbst kein tieferes Verständnis. Starke künstliche Intelligenz bedeutet, dass die Maschine wirklich intelligent ist. Aber da sind wir eben noch nicht.

Intelligenz ist auch viel zu komplex, um direkt in einen Roboter einprogrammiert zu werden. Daher versuchen wir den Roboter so lernfähig zu machen, dass er sein Verhalten an seinen eigenen Körper und dessen Umgebung anpassen kann. Wir untersuchen, unter welchen Voraussetzungen dieses intelligente Verhalten entstehen kann, und beginnen dabei ganz vorn: Wie kann ein Roboter zum Beispiel lernen, seinen Arm zu bewegen oder etwas damit zu greifen? Wir gehen davon aus, dass dieses Lernen so funktionieren kann wie bei Menschen und Tieren: durch Exploration. Die Bewegungen von Babys wirken in den ersten Monaten zunächst unkoordiniert. Sie sammeln aber ununterbrochen Erfahrungen und lernen den Zusammenhang zwischen dem kennen, was sie sehen, und dem, was sie gerade tun, etwa wenn sie ihren Arm bewegen. Diese Erfahrungen nutzen sie später für zielgerichtete Handlungen. Genau das stellen wir in Roboter-Experimenten nach. Die Roboter erhalten eine Art internes Rechenmodell, mit dem sie lernen können. Will der Roboter zum Beispiel erreichen, dass seine Hand eine Kaffeetasse berührt, kann er mit Hilfe des Modells simulieren, was das Ergebnis wäre, wenn ein bestimmtes motorgesteuertes Bewegungsprogramm abgespielt würde. Erst wenn dieses Programm erfolgversprechend erscheint, wird die Handlung ausgeführt. Indem die Umgebung und der eigene Körper exploriert werden, können Roboter schrittweise immer mehr Verhaltensweisen erlernen. Diese sind dann optimal angepasst, das heißt, die Maschine kann intelligent agieren.

Wir betrachten Fähigkeiten wie Laufen und Springen, Kommunizieren und Gestikulieren. Für Menschen sind sie relativ leicht, für Maschinen aber sehr, sehr schwer zu lernen. Andere Aufgaben wie die Berechnung mathematischer Formeln oder Schachspielen sind dagegen für Menschen schwierig und für Computer einfach, weil es klare Regeln gibt. Mit dieser Betrachtung hat sich unser Intelligenzbegriff verändert: Während zuvor eher abstrakte Fähigkeiten als intelligent bezeichnet wurden, hat sich der Begriff inzwischen stärker der alltäglichen Intelligenz angenähert. Ich denke, das wird sich fortsetzen, denn in der Informatik interessiert uns neben der maschinellen ja auch die menschliche Intelligenz. 

Michael Pauen

Intelligenz hat als Begriff vor allem in der Psychologie eine Rolle gespielt. Bei der Erforschung kognitiver Leistungen stellten Psycholog*innen fest, dass jemand, der gut rechnen kann, häufig auch gut darin ist, verbale Probleme zu lösen. Daraus ergab sich die Frage, ob dem ein gemeinsamer Faktor zugrunde liegt. Und diesen Faktor bezeichnete man als Intelligenz, als Maß dafür haben Psycholog*innen den Intelligenzquotienten entwickelt. Versucht man, Intelligenz messbar zu machen, ist eines der großen Probleme die Übertragbarkeit: Taugt der IQ-Test bei Menschen, auch wenn sich ihre kulturellen Hintergründe unterscheiden? Wie steht es um die Intelligenz bestimmter Tiere und die von artifiziellen Systemen?

Aus philosophischer Sicht ist Intelligenz ein Maß für eine allgemeine Problemlösungsfähigkeit: Eine Person ist dann intelligenter, wenn sie besser darin ist, Probleme zu lösen. Das bedeutet, dass sie vor allem in der Lage ist, neue Problemlösungen zu generieren, und das bei sehr vielen
verschiedenen Arten von Problemen. Schließlich sollte der Aufwand sowohl auf kognitiver Ebene als auch später, bei der Ausführung der Lösung, möglichst gering sein. Das sind die wesentlichen Merkmale von Intelligenz.

Eine Form von Intelligenz ist die soziale Intelligenz, also die Fähigkeit eines Individuums, Probleme zu lösen, die sich auf sozialer Ebene ergeben. Man kann auch bei sozialen
Gruppen von einer bestimmten Art von Intelligenz sprechen, die zum Beispiel in deren Institutionen oder Konventionen zum Ausdruck kommt. Gruppen funktionieren vor allem dann, wenn die Kooperation gut funktioniert. Und dies gelingt umso besser, je mehr die Individuen in der Lage
sind, ihre eigenen Interessen mit denen anderer Gruppenmitglieder zu koordinieren. Dazu gehört etwa die Fähigkeit, die Bedürfnisse eines anderen zu erkennen und das eigene Verhalten an diesen Bedürfnissen auszurichten. Je besser wir das können, desto unwahrscheinlicher ist es auch, dass es in einer Gruppe zu Konflikten und Revolten kommt. Dass Menschen imstande sind, miteinander zu kooperieren, auch wenn das zunächst erfordert, primäre Interessen aufzugeben, ist etwas, was sie von den meisten Tieren unterscheidet. Wir können unmittelbare Bedürfnisse hintanstellen, um langfristigen Interessen zu folgen. Und wie all unsere kognitiven Fähigkeiten hat auch die soziale Intelligenz eine biologische Basis. Ich glaube, dass uns die Entwicklung der künstlichen Intelligenz und der angewandten Informatik insgesamt dazu
zwingen wird, unsere soziale Intelligenz weiterzuentwickeln. Das heißt, wir müssen Mechanismen erarbeiten, um mit den gesellschaftlichen Konsequenzen umzugehen, etwa mit der ökonomischen Machtzusammenballung großer Tech-Firmen oder dem Einfluss von Social-Media-Plattformen auf
Wahlergebnisse. Das erfordert eine bestimmte Form sozialer Intelligenz, in diesem Fall auch der Intelligenz der Gruppe. Die Bedeutung von sozialer Intelligenz wird immer noch unterschätzt. Das hängt damit zusammen, dass sie an vielen Stellen unbewusst wirkt, uns also nicht direkt zugänglich ist. Da gibt es meiner Meinung nach noch viel zu erforschen, und wenn man aus den Ergebnissen vernünftige Konsequenzen zieht, könnte das auch unsere Vorstellungen von Intelligenz verändern. Intelligenz ist eben viel mehr als nur eine abstrakte Problemlösungsfähigkeit, die man am besten auf Mathematik und Logik anwendet: Die Fähigkeit, konkrete soziale Probleme zu lösen, gehört auch dazu.

// Text: Kristina Vaillant

Prof. Dr. Verena Hafner
Professorin für Adaptive Systeme | Institut für Informatik | Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Forschungsschwerpunkte:  Developmental Robotics, sensomotorisches Lernen, Explorationsstrategien

Prof. Dr. Michael Pauen
Professor für Philosophie des Geistes | Institut für Philosophie |
Philosophische Fakultät | Direktor der Berlin School of Mind and Brain

Forschungsschwerpunkte: Philosophie des Geistes, insbesondere des Bewusstseins, Verhältnis von künstlicher und menschlicher Intelligenz, Willensfreiheit

Themen:
Forschung