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Spoken Word Poetry: Große Themen statt WG-Geschichten

Im Interview erklärt Prof. Petra Anders, warum Spoken Word Poetry politischer geworden ist / Am 5. und 6. November ist Spoken Word auch Thema der Berlin Science Week @ HU

 

Prof. Dr. Petra Anders

Prof. Dr. Petra Anders,  Foto: Peter Rigaud

Im Interview gibt Prof. Dr. Petra Anders, Professorin für Deutschdidaktik an der Humboldt-Universität zu Berlin, einen Einblick in aktuelle Entwicklungen der Szene und erklärt, warum Spoken Word Poetry politischer geworden ist. Am Institut für Erziehungswissenschaften leitet sie den Arbeitsbereich Deutschunterricht und seine Didaktik in der Primarstufe und forscht zur Poetik und Vermittlung von Spoken Word Poetry.

Frau Dr. Anders, was macht den Reiz von Spoken Word Poetry aus?

Anders: Als Zuschauer:in von Spoken Word Poetry hat man eine unglaubliche Resonanzerfahrung. Das liegt unter anderem an den gestischen Mitteln, die die Poet:innen auf der Bühne nutzen. Über Gestik überträgt die:der Poet:in das innere Bild eines Textes auf das Publikum. Ich höre nicht nur zu, sondern fühle mit, entwickle eigene Bilder, nicke, applaudiere oder stelle mich auch mal dagegen. So entsteht eine soziale Beziehung zwischen mir und der Vortragenden. Diese soziale Beziehung wird von den Poet:innen auch mit literarischen Mitteln oft nochmal bewusst verstärkt. Viele Spoken-Word-Texte sind aus der Ich-Perspektive geschrieben oder sprechen ein nicht näher bestimmtes Du an, mit dem ich mich identifizieren kann. Beim Poetry Slam wird diese Resonanz nochmal verstärkt, da man als Publikum die Texte aktiv bewerten und so zu jedem Text Stellung beziehen muss.

Ich muss also zu einer Veranstaltung, um Spoken Word zu erfahren?

Anders: Nicht unbedingt. Poetry Slams werden oft aufgezeichnet und als Videos zum Beispiel bei YouTube eingestellt – Poetry Slam TV ist da ein beliebter deutschsprachiger Kanal. Daneben gibt es aber auch eigenständige multimediale Spoken-Word-Formate, die ohne Bühne funktionieren, zum Beispiel die Poetry Clips. Das sind kurze Video-Clips, in denen ein:e Poet:in vor der Kamera einen Text aufführt, wobei auch auf filmische und musikalische Mittel zurückgegriffen wird.

Welche Themen erwarten mich bei Spoken Word Poetry?

Anders: Dem Poetry Slam wurde oft der Vorwurf gemacht, dass vor allem lustige Texte dargeboten werden. Im wettbewerblichen Format hat das auch gut funktioniert. In den letzten fünf bis acht Jahren hat sich das aber gewandelt. Inzwischen werden verstärkt politische und gesellschaftskritische Themen von Spoken-Word-Künstler:innen behandelt und ihre Texte setzen sich mit Gender, Inklusion, Rassismus oder der Klimakrise auseinander. 

lila.sovia ist beispielsweise eine junge Künstler:in, die sich von Gender-Zuschreibungen abgrenzen will und sich sowohl in ihren Texten, als auch in ihrer Rolle als Performende mit diesem Thema auseinandersetzt. Tanasgol Sabbagh, die auch auf der HU-Veranstaltung zu Spoken Word performen wird, beschäftigt sich mit Rassismus oder sozialer Ungleichheit. Und Rita Apel spricht wiederum in ihren Texten oft über Umweltprobleme. Diese großen Themen sind es, die man zurzeit auf Spoken-Word- und Science-Slam-Bühnen findet – und weniger die lustigen WG-Geschichten, die vor einigen Jahren beliebt waren.

Kann Spoken Word Poetry eine Plattform für politischen Diskurs sein? 

Anders: Das besondere an Spoken-Word-Formaten ist, dass diese offen für alle sind. Sie können ein Raum sein, in dem auch marginalisierte Personengruppen eine Sprache und eine Bühne bekommen, um Ungerechtigkeit, Sexismus oder Rassismus zu thematisieren. Das kann auch eine Form des Self Empowerment sein und somit auch eine Plattform für politische Auseinandersetzung. Ich würde mir auch wünschen, dass das noch häufiger passiert.

Hinzu kommt, dass bei Spoken-Word-Poetry oft sehr aktuelle Themen behandelt werden, da Poet:innen sich mit dem Publikum verständigen und Anschlusskommunikation erzeugen wollen. So kann sich Spoken-Word-Poetry in aktuelle politische Diskurse einbringen.

Das Interview führte Artur Krutsch.

Termine Berlin Science Week @ HU

Spoken Word I: Die Sprache des Politischen

Freitag, 5. November 2021, 19.00 Uhr
Humboldt-Universität zu Berlin, Senatssaal, Unter den Linden 6, 10117 Berlin

  • Impulsvortrag von Dr. Clara Herdeanu
  • Performance von Bas Böttcher, Yasmin Hafedh, Dominique Macri, Dalibor Marković, Tanasgol Sabbagh

"I have a dream" oder "Imagine" – das gesprochen Wort ist mächtig und mobilisiert Massen, als Dichtkunst ebenso wie als politischer Slogan. Wie reagiert Spoken Word als Dichtkunst heute auf das gesprochene Wort der Politik? Wie beeinflussen sie sich gegenseitig und wie grenzen sie sich voneinander ab?

Die Veranstaltung wurde kuratiert von Bas Böttcher.

Anmeldung zur Veranstaltung

Spoken Word II: Als Schnittstelle zwischen Medien und Kunst

Samstag, 6. November 2021, 19.00 Uhr

Humboldt-Universität zu Berlin, Hörsaal 2002, Unter den Linden 6, 10117 Berlin 

  • Impulsvortrag von Prof. Dr. Shintaro Miyazaki (HU  Berlin)
  • Performance von Wolf Hogekamp (Autor) und Danielle de Picciotto (Autorin und Musikerin)

In der Kunst gehen Bild, Wort, und Medien vielfältige Verbindungen ein - mit teils erstaunlichen Wirkungen auf das gemeinsame Wahrnehmen. Der Abend stellt Spoken Word an der Schnittstelle zwischen digitaler Poesie, Medienkunst und Lyrik vor, in Film und Performance.

Durch den Abend führt Prof. Dr. Petra Anders (Humboldt-Universität zu Berlin), er wurde kuratiert von Bas Böttcher.

Anmeldung zur Veranstaltung