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Diversität und Antidiskriminierung als eine gelebte Selbstverständlichkeit im universitären Alltag

Die zentrale Frauenbeauftragte berät und unterstützt in Fragen der Gleichstellung von Frauen und Männern. Im Interview spricht Ursula Fuhrich-Grubert über Wege ein diskriminierungsfreies Lehr-, Lern- und Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem alle Menschen unabhängig von Hautfarbe und Herkunft ihr volles Potenzial entfalten können.

Foto: Martin Ibold
Dr. Ursula Fuhrich-Grubert ist die zentrale Frauenbeauftragte der Humboldt-Universität.

Welche Rolle schreiben Sie der Humboldt-Universität bezogen auf das Thema Diversität zu?

Als große Universität in Berlin und damit an einem Ort internationaler und interkultureller Begegnungen kommt der HU mit Blick auf das Thema Diversität große gesellschaftliche Verantwortung zu. Ein erster Schritt dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist anzuerkennen, dass es auch im Kontext der HU strukturellen Rassismus und soziale Ungleichheiten gibt – wie zuletzt eine Umfrage zum Thema Diversität ergeben hat. Daraus sollte in einem zweiten Schritt der Selbstanspruch folgen – und dies insbesondere über die AG Diversität –, Akteurin eines positiven Wandels zu sein, z.B. über das Etablieren von best practice-Maßnahmen im Bereich Antidiskriminierung und Diversität, den Transfer von Forschungsergebnissen oder als Ort für kritische gesellschaftspolitische Debatten.

Seit wann gibt es die AG Diversität an der HU Berlin. Was ist ihr Auftrag und was haben Sie bisher erreicht?

Die AG Diversität gibt es in der vorliegenden Form seit ca. zwei Jahren. Sie hat sich vier Ziele gesetzt: 1. will sie einen positiven und respektvollen Umgang mit Differenz fördern und dazu beitragen, dass Diversität an der HU als Bereicherung gelebt wird. 2. soll der Umgang mit Diversität universitätsweit thematisiert, diskutiert und kritisch reflektiert werden. Um die Inklusion / Integrität aller Universitätsmitglieder zu gewährleisten, will die AG 3. barriere- und diskriminierungsfreie Lehr-, Lern- und Arbeitsumgebungen schaffen. Sodann geht es der AG 4. darum, Beratung und Begleitung in Fällen von Diskriminierung sicherzustellen. Summa summarum: Es geht der AG um die Sensibilisierung und einen Kulturwandel an der HU im Sinne von Diversität und Antidiskriminierung als einer gelebten Selbstverständlichkeit im universitären Alltag.

Die AG hat unter anderem die oben erwähnte Umfrage auf den Weg gebracht, sie ausgewertet und erste Maßnahmen beschlossen, um die genannten Ziele umzusetzen. Die Ergebnisse dieser ersten Arbeitsphase hat sie auch dem Kuratorium präsentiert. Wenn es bisher nicht in dem gewünschten Umfang zu einer Umsetzung von Maßnahmen kommen konnte, dann liegt das nicht zuletzt an den Auswirkungen der Pandemie.

Reicht eine AG? Was muss noch passieren, damit Diversität an der HU ins Leben kommt?

Nein, eine AG allein reicht selbstverständlich nicht aus. Das Modell ist jedoch ein guter Ansatzpunkt insofern als es eine interne Heterogenität und damit Perspektivenvielfalt sicherstellt: In der AG sind nicht nur sämtliche Beauftragte zur Reduzierung von Diskriminierung an der HU tätig, sondern es werden neben Entscheidungsträger*innen wie z.B. Abteilungsleitungen auch Betroffene einbezogen. So kann Expertise gebündelt, können Bedarfe und persönliche Erfahrungen eingebracht und Synergien hergestellt werden – um so dimensionenübergreifend und wertschätzend statt merkmalsspezifisch zusammenzuarbeiten.
Um den o.g. Kulturwandel zu fördern, bedarf es vielzähliger Maßnahmen auf allen Ebenen – so wie von der AG beraten und beschlossen. Angefangen bei Fortbildungen zu geschlechter- und diversitätssensiblen Einstellungsverfahren und Personalführung über hochschulweite Veranstaltungen zu Themen wie Rassismus oder deutscher Kolonialgeschichte hin zu verstärktem Empowerment für alle von rassistischer Diskriminierung betroffenen Personen, die an der HU studieren, lehren oder arbeiten. Es muss allen klar sein: Rassismus wird an der HU nicht geduldet (s. dazu auch die Dienstvereinbarung und Richtlinie „Respektvolles Miteinander“).  Falls es zu Diskriminierungen kommt, können sich die Betroffenen jederzeit vertraulich an die Zentrale Frauenbeauftragte oder ihre dezentralen Kolleginnen, an die Antidiskriminierungsberatung des RefRats, die AGG-Beauftragte oder die Konfliktberater*innen (darunter auch eine Person of Colour) wenden. Diese Anlaufstellen und Beratungsangebote sollten, so auch ein Ergebnis der Umfrage, noch breiter und über eine zentrale Website kommuniziert werden (auch hieran arbeitet die AG).

Wie können PoC (People of Colour), die an der HU arbeiten oder hier studieren, unterstützt werden, damit das Wort "Gleichberechtigung an der HU" Realität und nicht nur Wunschdenken ist?

Grundsätzlich ist Rassismus für PoC Alltag und spiegelt sich nicht nur in Beleidigungen und körperlicher Gewalt wider. Das gilt auch für Deutschland und für deutsche Institutionen. Rassistische Diskriminierungen erfahren Menschen hier auf persönlicher wie staatlich/institutioneller Ebene und damit müssen Hochschulen wie die Humboldt-Universität umgehen.
Das vorausgeschickt, müsste die Frage meiner Meinung nach anders gestellt werden. Es geht nicht vorrangig darum, PoC-Studierende und -Mitarbeitende zu 'unterstützen', sondern vielmehr darum, ein diskriminierungsfreies Lehr-, Lern- und Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem alle Menschen unabhängig von Hautfarbe und Herkunft ihr volles Potenzial entfalten können.
Um das zu erreichen, gilt es für eine wissenschaftliche Einrichtung wie die HU, das Thema verstärkt in den wissenschaftlichen Fokus zu nehmen. Hier gibt es insbesondere im Kontext des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterforschung (ZtG) bereits vielfältige Anstrengungen. Auf praktischer Ebene wurden im Rahmen der oben genannten Umfrage Sensibilisierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für alle Studierenden und Mitarbeitenden an der HU sowie Beratung und Begleitung im Falle von rassifizierter Diskriminierung eingefordert. Ferner geht es darum, entsprechende Instrumente anzuwenden, um den Anteil von PoC unter den Mitarbeitenden und Studierenden gezielt zu erhöhen.

Wie werden Sie in Ihrer Rolle als zentrale Frauenbeauftragte der HU mit der Problematik umgehen?

Da ich als zentrale Frauenbeauftragte seit Beginn meiner Tätigkeit einen intersektionalen Ansatz verfolge und außerdem Vorsitzende der AG Diversität bin, beschäftigen sich meine Mitarbeiterinnen und ich schon seit langem auch mit dem Thema Rassismus. Da bekanntermaßen Frauen, die PoC sind, besonders stark von sexualisierter Diskriminierung betroffen sind, beabsichtige ich – wie von Betroffenen ausdrücklich gefordert – zukünftig spezifische Veranstaltungen zum Empowerment von PoC-Frauen anzubieten. Darüber hinaus haben wir in unserem firstgen-Projekt für Studierende mit nicht-akademischem Hintergrund aus dem o.g. intersektionalen Ansatz heraus Personen mit Migrationshintergrund und PoC besonders im Auge.
Ungeachtet der bereits existierenden Initiativen und Strukturen an der HU: Die jüngsten Ereignisse in den USA, die „Black Lives Matter“-Bewegung und die damit verknüpfte aktuelle Debatte über (strukturellen) Rassismus in Deutschland sind für mich und mein Team und - ich gehe davon aus, auch für die HU als Institution - ein Moment sich einmal mehr bewusst zu werden, dass es noch ein langer Weg hin zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft und damit auch Humboldt-Universität ist.

 

Interview: Hans-Christoph Keller