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„Die Beschädigungen sind nachhaltig, der Vertrauensverlust bleibend“

Georg Essen, Leiter des Instituts für Katholische Theologie, über den Missbrauchsskandal und die Krise der katholischen Kirche

Portrait von Prof. Dr. Georg Essen vor dem Gebäude des Instituts für Katholische Theologie
Foto: Matthias Heyde
Die katholische Kirche erlebt seit Jahren eine steigende Anzahl an Kirchenaustritten, die derzeit insbesondere in Erzbistum Köln einen Höhenpunkt erreicht. In der Kritik steht Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, der ein Gutachten zu Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen zurückhält. Als Grund führt er rechtliche Mängel an. Diese Vorfälle und die Krise der Kirche sind auch Thema der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, die vom 23. bis 25. Februar 2021 tagt. Ein Interview mit Prof. Dr. Georg Essen, Leiter des Instituts für Katholische Theologie und Professor für Systematische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Herr Prof. Dr. Essen, die katholische Kirche steht schon seit langem wegen ihres Umgangs mit den Missbrauchsfällen in der Kritik. Wie bewerten Sie die Position der Kirche gegenüber dem Vorgehen Kardinal Woelkis?

Wie immer man die Rechtsfragen im Einzelnen auch beurteilen mag, fest steht, dass das, was in Köln geschieht, die ohnehin schleppend verlaufenden Versuche der katholischen Kirche, die Missbrauchsfälle aufzuklären, in ein schlechtes Licht rücken, ja in Misskredit bringen. Man gewinnt den Eindruck, dass sich der Erzbischof hinter der Frage, wie mit den Gutachten umzugehen sei, verschanzt. Das Ganze ist ein Kommunikationsdesaster. Der Geduldsfaden ist gerissen, ich sehe nicht, wie in Köln das Vertrauen wiederhergestellt werden könnte. Es ist doch illusorisch zu meinen, nach der Veröffentlichung der Gutachten sei alles wieder im Lot. Das Ganze wird als „high noon“ inszeniert – mit dem 18.3. kommt alles ans Licht. Das wird nicht funktionieren. Die Beschädigungen sind nachhaltig, der Vertrauensverlust bleibend.

Welche Antworten auf die aktuelle Krise erwarten Sie von der Deutschen Bischofskonferenz, die derzeit ihre Frühjahrs-Vollversammlung abhält?

Positiv ist, in welcher Deutlichkeit sich andere Bischöfe vom Kölner Kardinal öffentlich distanziert haben. Für Konfliktfähigkeit und Streitkultur ist die katholische Kirche ja wahrlich nicht bekannt. Es gibt Bischöfe, die den Ernst der Lage erkannt haben. Man kann nur hoffen, dass diese Bischöfe sich durchsetzen werden. Der Bischofskonferenz läuft allmählich die Zeit davon. Wenn es ihr nicht gelingt, einheitliche Entschädigungsregeln für Betroffene flächendeckend zu etablieren und eine unabhängige Aufarbeitung der Missbrauchsskandale zu garantieren, ist der letzte Rest an Vertrauen verloren. Der Ruf nach dem Staat, sich dem Thema anzunehmen, ist ein Alarmzeichen: die Kirche hat ihren Kredit an Glaubwürdigkeit augenscheinlich verspielt. Man traut ihr nicht mehr zu, den eigenen Augiasstall auszumisten. Ein Herakles ist, um im Bilde zu bleiben, nicht in Sicht.

Als Reaktion auf den Missbrauchsskandal hat die Deutsche Bischofskonferenz sich seit 2019 mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken auf einen „Synodalen Weg“ begeben. Kann dieser Weg gelingen oder ist der Druck von der Basis dafür nicht zu groß?

Auf der einen Seite ist der „Synodale Weg“ alternativlos. Es bedurfte eines starken Zeichens, um sich entschlossen auch den strukturellen und systematischen Fragen zuzuwenden. Die unglaubliche Vielzahl der Fälle von sexualisierter Gewalt in der Kirche, die erschreckend hohe Anzahl von Priestern, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben, lassen keinen anderen Schluss zu als den, dass es weitreichende Strukturreformen braucht, um derartigen Verbrechen entgegenzutreten. Die Machtfrage, zum Beispiel, muss auf den Tisch! Wer vom sexuellen Missbrauch in der Kirche spricht, muss ihre Sexualmoral zur Sprache bringen. Will die Kirche eine Zukunft haben, muss sie von Grund auf ihr Frauenbild korrigieren. Auf der anderen Seite wird, das muss man auch deutlich sagen, der „Synodale Weg“ von Erwartungen überfrachtet. Ihm wird im Grunde die Aufgabe übertragen, jahrzehntelange Reformblockaden aufzulösen und tiefgreifende Veränderungen auf den Weg zu bringen. Keiner weiß, ob das gut gehen kann! Gelingt dies nicht, werden die Enttäuschungen maßlos sein.

Interview: Cordula de Pous

Weitere Informationen

Website des Zentralinsituts für Katholische Theologie

Pressemitteilung „Institut für Katholische Theologie auf eigenen Füßen“ zur Wahl von Prof. Dr. Georg Essen zum neuen Institutsdirektor vom 10. Februar 2021

Pressemitteilung „Ein Jahr islamische und katholische Theologie an der Humboldt-Universität“ vom 9. November 2020