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Sprache und Wirklichkeit und die Diskussion um das Gendersternchen

Das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) bringt Gender-Kompetenzen aus allen Disziplinen zusammen. Prof. Dr. Beate Binder, Institut für Europäische Ethnologie, und Prof. Dr. Ulrike Vedder, Institut für deutsche Literatur, haben in sechs Punkten die wichtigsten Argumente für eine gendergerechte Sprache zusammengefasst:

  1. Sprache bildet Wirklichkeit nicht nur einfach ab, sondern prägt sie auch: Vorstellung und Wahrnehmung werden durch Sprache, durch die Art, wie wir Wirklichkeit sprachlich zur Darstellung bringen, beeinflusst und mit hervorgebracht. Durch Benennungen bzw. Nicht-Benennungen werden gesellschaftliche Vorstellungen davon, was normal und die Regel ist, aufgerufen und bestätigt.
    Einschlägige Untersuchungen haben gezeigt, dass zum Beispiel die Berufswahl von Schüler*innen maßgeblich durch die sprachliche und bildliche Darstellung der jeweiligen Berufsgruppen in Unterrichtswerken beeinflusst wird. Wird dort zum Beispiel nur von Ingenieuren gesprochen, dann sehen auch deutlich weniger Mädchen es als eine Möglichkeit an, selbst Ingenieur zu werden.
  1. Versuche, durch die Reform der Sprache auf die in Grammatik eingeschriebenen Machtverhältnisse einzuwirken, spielten im Kontext der sozialen Kämpfe um Gleichberechtigung seit den 1970er Jahren eine zentrale Rolle. Eine der Vorreiterinnen ist Luise Pusch. Auch ihr Argument gegen das generische Maskulinum ist, dass es Frauen unsichtbar macht. Sie hat als Vorschlag das Binnen-I eingebracht, das bis heute von ihr als angemessene Form, Frauen sichtbar zu machen und damit für Geschlechtergerechtigkeit einzutreten, vertreten wird. Sprache ist nicht nur wandelbar, sondern verändert sich ständig. Keine*r spricht und schreibt heute noch so wie zu Goethes Zeiten. Die Veränderungen von Sprache geschehen laufend, die Versuche, eine geschlechtersensiblere und für unterschiedliche geschlechtliche wie sexuelle Positionen offene Sprache zu schaffen, können insofern auch als Ausdruck eines wachsenden Bedürfnisses gesehen werden, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
  1. Der aktive Einbezug möglichst vieler Positionen in sprachliche Ausdrucksformen trägt zu einer gleichberechtigteren und diskriminierungsärmeren Gesellschaft bei. Gendersensible Sprache bedeutet adäquate Repräsentation, trägt zum Abbau von Diskriminierung und zur Differenzierung bei und macht Texte verständlicher, übrigens ohne stilistische Einbußen. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, unterschiedliche Geschlechterpositionen in Sprache einzubeziehen: Durch Neutralisierung, also das Verwenden geschlechtsneutraler Begriffe (zum Beispiel: Studierende), oder durch Hervorhebung, also die explizite Benennung der Geschlechter (zum Beispiel Studentinnen und Studenten, StudentInnen, usw.).
  1. Das Gender*Sternchen geht (wie auch der Gender_Gap) über die Frage der gleichberechtigten Darstellung von Männern und Frauen hinaus: Mit dem Einfügen des Sterns (oder auch eines Doppelpunkts oder Punkts oder einer ähnlichen, als Überbrückung der männlichen und weiblichen Form eines Wortes gedachten Form) sollen auch diejenigen einbezogen werden, die sich nicht in die dichotome Zweigeschlechterordnung einordnen wollen oder können. Damit wird auch sprachlich sichtbar gehalten, was vom Bundesverfassungsgericht als Dritte Option – die Wahl einer jenseits von Mann und Frau liegenden Geschlechtszugehörigkeit – eingeführt wurde. Gerade für Hochschulen ist es ein Ziel, in der Ansprache und Einbindung ihrer vielfältigen Studierenden und Mitarbeitenden sämtliche Geschlechterpositionen anzuerkennen.
  1. Es geht nicht um Vorschriften, sondern darum, sensibel und kreativ mit Sprache umzugehen – denn es gibt nicht die diskriminierungsfreie Sprache. Vielmehr können alle diese Versuche als Ausdruck sozialer Kämpfe gelesen werden – das gilt auch dort, wo gegen Veränderungen von Sprache argumentiert wird. Das „Behüten“ des Bewährten dient auch dem Stabilisieren von sozialer Ordnung. Die kreativen Versuche, Sprache aktuellen Bedürfnissen anzupassen, sind insofern als Aufforderung zu verstehen, über Sprache und deren eingelagerte Normierungen nachzudenken.
  1. Durch Sprache wird nicht nur das binäre Geschlechtersystem mit seinen heteronormativen Implikationen (re-)produziert. Vielmehr ist dieses stets eingebunden in weitere Machtverhältnisse und Ungleichheitsrelationen, wie sie etwa mit sozialem Status, ethnischen Zugehörigkeiten oder auch Behinderung verbunden sind. Dies zeigt sich besonders deutlich in Kommunikationssituationen, für deren Verständnis – gegenüber der Annahme, es gebe weibliches und männliches Kommunikationsverhalten – eine intersektionale Perspektive notwendig ist, die das Zusammenwirken verschiedener Ungleichheiten in den Blick nimmt. Denn vielfältige Faktoren wirken darauf ein, wie Personen sich darstellen können und in Kommunikationssituationen verhalten (Bildung, soziale Lage, individuelle Erfahrungen …). Dabei trägt das Nutzen einer sensiblen und Vielfalt anerkennenden Sprache dazu bei, dass Situationen geschaffen werden, in denen sich verschiedene Menschen äußern können.

Weitere Informationen

Webseite des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien

Kontakt

Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien

Tel.: 030 - 2093-46 200
ztg-sekretariat@gender.hu-berlin.de

Prof. Dr. Beate Binder, Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Europäische Ethnologie
Geschlechterstudien und Europäische Ethnologie
beate.binder@hu-berlin.de

Prof. Dr. Ulrike Vedder, Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für deutsche Literatur
Neuere deutsche Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart / Theorien und Methoden der literaturwissenschaftlichen Geschlechterforschung
ulrike.vedder@hu-berlin.de