Themen
politikwissenschaftlerin_jannika_spannagel_fu_copy_katy_otto_2025
Viel (Selbst-)Zensur – wenig Daten
Beitrag des Konfliktforschers Jannis Grimm, Freie Universität Berlin
In den USA hatte der Gaza-Krieg auch für Hochschulen Folgen: Nach aktuellen Studien fühlen sich mehr als 80 Prozent der Nahost-Forschenden gezwungen, ihre Aussagen zu zensieren. Gleichzeitig instrumentalisiert die Trump-Regierung den Kampf gegen Antisemitismus auf dem Campus, um unliebsame Forscher*innen auszuweisen und ganze Universitäten unter Beobachtung zu stellen. Deutsche Spitzenpolitiker*innen erwägen vor diesem Hintergrund, amerikanische Wissenschaftler*innen anzuwerben, die unter Zensur leiden. Dabei gilt Deutschland ironischerweise selbst längst als Land, in dem das Sprechen über Israel und Palästina mit Karriererisiken verbunden ist und wo die palästinasolidarischen Proteste zum Einfallstor für die Beschneidung von Hochschulautonomie geworden sind. Der dramatische Absturz Deutschlands im Academic Freedom Index macht den Effekt von #Fördergate, Hunderter Veranstaltungsabsagen und der Strafverfolgung von Studierenden wegen Demonstrationen auf dem Campus deutlich. Abseits dieses statistischen Rankings existiert aber kaum verlässliches Datenmaterial zur Lage der Forschenden. Explorative Interviews deuten zwar darauf hin, dass Selbstzensur sowohl israelkritische Forschende betrifft als auch jene, die eher als proisraelisch gelten. Beide Gruppen berichten in einem neuen Ausmaß von öffentlicher Diffamierung und Einschüchterung. Doch mangelt es weiter an empirisch belastbaren Daten.
Genau diese Lücke adressiert eine laufende Studie des INTERACT-Zentrums, die Ausmaß und Ursachen von (Selbst-)Zensur im Kontext des Nahostkonflikts systematisch untersuchen will. Drei Dimensionen stehen dabei im Vordergrund: 1) individuelle Erfahrungen von Zensur, Hassrede und institutionellen Konsequenzen, 2) die Bewertung öffentlicher Debatten zu Entwicklungen auf dem Campus und 3) wie biografische und identitätsbezogene Faktoren die individuelle Bedrohungswahrnehmung prägen. Ziel ist, ein differenziertes Lagebild der deutschen Nahostwissenschaft seit dem 7. Oktober jenseits anekdotischer Evidenz zu zeichnen – auch um dem Missbrauch von „Wissenschaftsfreiheit“ als Kampfbegriff zu begegnen. Denn die Debatte um Wissenschaftsfreiheit birgt aktuell die Gefahr einer doppelten Instrumentalisierung: Einerseits soll der Vorwurf mangelnder Wissenschaftsfreiheit bisweilen auch legitime Kritik an der Positionierung von Forschenden pauschal abblocken. Andererseits legitimiert der gut gemeinte, aber schlecht gemachte Schutz von Hochschulen aber vor allem autoritäre Maßnahmen, die kritische wissenschaftliche Diskurse ersticken. Gerade Deutschland trägt eine besondere historische Verantwortung, dieser Instrumentalisierung aktiv entgegenzuwirken. Hochschulen sind schon immer Frühwarnsysteme für breitere autoritäre Tendenzen gewesen. Dass Wissenschaftler*innen zu bestimmten Themen die Schere im Kopf anlegen, sollten wir als ernste Warnung verstehen.
Weitere Informationen
jannis_julian_grimm_fu_copy_2025_anne-sophie_schmidt
Zwischen Wissenschaftsfreiheit und Sicherheitsverantwortung: Dual-Use-Forschung und Exportkontrolle im Dialog
Beitrag des Virologen Benedikt Kaufer, Freie Universität Berlin
Forschung lebt vom offenen Austausch, von internationaler Zusammenarbeit und dem Streben nach Erkenntnis – diese Freiheit ist grundrechtlich geschützt und eine zentrale Grundlage wissenschaftlicher Innovation. Gleichzeitig bringt besonders die sogenannte Dual-Use-Forschung – also Forschung mit potenziell zivilen und militärischen Anwendungsmöglichkeiten – eine besondere Verantwortung mit sich. Denn wissenschaftliche Ergebnisse können unter Umständen auch für sicherheitsgefährdende Zwecke missbraucht werden. Um Forschende in diesem Spannungsfeld nicht allein zu lassen, wurde an der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin die Kommission für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF) eingerichtet. Die KEF berät Wissenschaftler*innen, wenn ihre Projekte möglicherweise sicherheitsrelevante Risiken bergen – sei es durch die erzeugten Technologien oder durch Kooperationen mit internationalen Partnern: beispielsweise mit Forschungseinrichtungen in Ländern wie dem Iran oder Nordkorea, in denen besondere exportkontrollrechtliche und sicherheitsrelevante Rahmenbedingungen gelten. Leitfragen helfen dabei, Risiken frühzeitig zu erkennen und sie ethisch wie rechtlich zu reflektieren, ohne die Wissenschaftsfreiheit unnötig einzuschränken. Die KEF unterstützt unabhängig, vertraulich und lösungsorientiert – mit dem Ziel, verantwortungsvolle Forschung zu fördern.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Exportkontrolle. Denn nicht nur physische Güter, sondern auch Wissen kann exportkontrollrechtlich relevant sein – etwa bei der Weitergabe von sensiblen Forschungsergebnissen ins Ausland. Das Thema fand in der akademischen Praxis lange wenig Beachtung, gewinnt aber zunehmend an Relevanz. An der Freien Universität Berlin berät die Koordinierungsstelle Exportkontrolle Forschende in Fragen der exportkontrollrechtlichen Genehmigungspflicht, bei Kooperationsvorhaben oder beim postalischen Versand von Materialien. Ziel ist nicht die Verhinderung von Forschung, sondern die Gewährleistung von Rechts- und Handlungssicherheit. Es geht darum, Risiken frühzeitig zu erkennen und gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden – im Sinne einer forschungsfreundlichen, aber verantwortungsbewussten Wissenschaftspraxis.
Forschende der FU können sich mit ethischen Fragen an kef@fu-berlin.de, mit exportrechtlichen Anliegen an exportkontrolle@zuv.fu-berlin.de wenden.
Weitere Informationen
Wissenschaftsfreiheit im Spannungsfeld mit Erkenntnis und Moral
Beitrag des Philosophen Stefan Gosepath, Freie Universität Berlin
Das deutsche Grundgesetz schützt die Wissenschaftsfreiheit als ein spezifisches Freiheitsrecht, etwa im Unterschied zur Meinungsfreiheit. Denn die Freiheit von Forschung und Lehre ist schlechthin konstitutiv für die Wissenschaft, wenigstens für die, die ihren Titel verdient. Ohne die Freiheit von wissenschaftsfremden Einflussnahmen kann Wissenschaft ihre ureigenen Ziele, nämlich die Ermittlung signifikanter Wahrheiten, gar nicht oder nicht gut genug realisieren. Es widerspricht den der Wissenschaft inhärenten Zielen, wenn Wissenschaft dazu instrumentalisiert wird, politische, weltanschauliche, religiöse oder sonstige beliebte Anschauungen (gar unbegründeter- oder fälschlicherweise) widerspiegeln oder bestätigen zu müssen.
Natürlich unterliegt die Wissenschaftsfreiheit Schranken. So muss es zunächst und zumal tatsächlich um wissenschaftliche Forschung mit dem Ziel der Wahrheitsfindung gehen. Zudem sind andere Grundrechte und Gesichtspunkte der Moral und Gerechtigkeit zu berücksichtigen. Das wirft oft die generellere Frage auf, ob es denn überhaupt richtig ist, der Moral den Vorrang vor der Wissenschaft einzuräumen. Bei den Verfahren der Wissenschaft scheint das Konsens zu sein. Der gute Zweck, also die Findung der Wahrheit, heiligt nicht alle Mittel in wissenschaftlichen Verfahren, vor allem wenn sie die moralischen Rechte anderer verletzt. Bei den Zielen ist es hingegen kontrovers, ob es überhaupt moralische Gründe geben kann, wissenschaftlich gewonnene, inhaltliche Thesen zurückzuweisen. Man kann entweder Wahrheit und Moral als vollkommen getrennt sehen. Oder als ein (schwieriges) Abwägungsverhältnis zwischen zwei unterschiedlichen Werten ansehen. Plausibler ist es jedoch, die Ziele der Wissenschaften, Wahrheit und Erkenntnis, als eingebettet in ein Netz von normativen Zielen anzusehen, wie gleicher Achtung und Anerkennung der moralischen (Menschen-)Rechte aller. Wissenschaft, die das Privileg einer eigenen Freiheit in Anspruch nimmt, muss sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen, und epistemische und praktische Gründe zugleich bei der Rechtfertigung ihrer Thesen zusammendenken, ohne den Unterschied zu vernachlässigen. Dies kann zu Spannungen führen, wie wir sie heute vielfach erleben, z.B. bei der Debatte um Gender-Identitäten, die im gesellschaftlichen Diskurs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit geklärt werden müssen.
Weitere Informationen
In China steht die Wissenschaftsfreiheit unter Druck
Beitrag der Sinologin Genia Kostka, Freie Universität Berlin
Institutionen wie die Peking-Universität bezeichnen die akademische Freiheit offiziell als eines ihrer wichtigsten Prinzipien, und das chinesische Hochschulgesetz besagt, dass der Staat die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung gewährleistet. In der Realität sind Forschende und Studierende in ihrer akademischen Freiheit jedoch stark eingeschränkt. Die Einschränkungen reichen von der Unmöglichkeit, Verlage für Publikationen zu sensiblen Themen zu finden, bis hin zu Entlassungen und Gefängnisstrafen für kritische Äußerungen. Die Forschung in China ist stark von der Förderung durch die lokale oder nationale Regierung abhängig. Der Hauptzweck der Universität in China ist die Förderung des Sozialismus und die Verbreitung von Partei-Narrativen. Darüber hinaus werden Wissenschaftler*innen unter Druck gesetzt, sich auf die Veröffentlichung von Artikeln in SSCI-Zeitschriften zu konzentrieren, da die Universitätsverwaltungen stark auf Hochschulrankings setzen. Dies schränkt den Forschungsspielraum chinesischer Wissenschaftler weiter ein.
Auch ausländische Forscher unterliegen bei der Arbeit in China Einschränkungen. Diese reichen von der Verwehrung von Forschungsvisa über Befragungen oder Durchsuchungen seitens der Behörden, Verweigerungen des Zugangs zu Archiven, bis hin zu körperlicher Einschüchterung oder Festsetzung durch die Polizei. Dies führt oft zu Selbstzensur, indem Forschende sich in ihren Projekten auf nicht-sensible Teile konzentrieren, bis hin zur Aufgabe ganzer Projekte. Selbst ausländische Wissenschaftsverlage wie The Cambridge University Press oder Springer Nature können dem Druck der chinesischen Regierung nicht standhalten und beschränken oder blockieren den Zugang zu Zeitschriftenartikeln in China.
Die akademische Freiheit steht nicht nur in China unter Druck, sondern auch seitens westlicher Regierungen und Universitätsverwaltungen. So intervenierte beispielsweise die australische Regierung in die australisch-chinesische STEMM-Kooperation, da sie Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit sowie vermeintlicher medizinischer, wirtschaftlicher und menschenrechtlicher Risiken hatte. Dies zeigt, dass Wissenschaftsfreiheit durch geopolitischen Wettbewerb sowie die Wahrnehmung von Risiken und Chancen in der Zusammenarbeit mit China gefährdet ist.
Weitere Informationen
genia_kostka_fu_copy_hertie_school_of_governance.jpg
Herausforderung Regionalwissenschaften: das Beispiel Lateinamerika
Beitrag der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Lateinamerika-Institut Karina Kriegesmann, Freie Universität Berlin
Die gegenwärtig intensiv geführten Debatten um die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit und eine verantwortungsvolle internationale Zusammenarbeit sind nicht neu. Sie weisen insbesondere an der Freien Universität Berlin, die sich seit ihrer Gründung 1948 dem unabhängigen Lehren und Forschen sowie dem freien akademischen Austausch verpflichtet fühlt, eine komplexe Geschichte auf. Den unverzichtbaren und vielfach herausgeforderten Regionalwissenschaften kommt dabei seit jeher eine zentrale Rolle zu.
Die Bedeutung der Area Studies lässt sich in der Mitte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Beispiel der Lateinamerikastudien aufzeigen. Enge akademische und persönliche Verbindungen – oftmals durch Erfahrungen im Exil geprägt – sowie politisch unterstützte Kooperationen zwischen Wissenschaftler*innen aus Lateinamerika und West-Berlin trugen seit den 1960er-Jahren wesentlich zu ihrer Institutionalisierung bei. Gleichzeitig bildete sich das Interesse einer zunehmend mobilisierten Studierendenschaft an den Ländern der damals sogenannten „Dritten Welt“ in einer intensiven Auseinandersetzung mit radikalen Ansätzen und dem kritischen Hinterfragen bestehender Deutungsmuster ab. Diese Dynamiken führten an der Freien Universität zu teils heftigen Kontroversen, die immer wieder Abwägungen und Debatten darüber erforderlich machten, was verhandelbar war und was nicht, wo es Gegenwehr und Proteste gab, was in welcher Situation sagbar war und was eher nicht – ein Balanceakt um das Finden, Verteidigen und Ausbalancieren einer verantwortungsbewussten Linie in aufgeregten Zeiten, an dem verschiedene universitäre Gruppen, politische Entscheidungsträger*innen, internationale Partnerinstitutionen und Medien beteiligt waren.
Angesichts der Diktaturen, Gewalt und sozialen Ungleichheiten etwa in Argentinien, Brasilien und Chile nahm das öffentliche und akademische Interesse an Lateinamerika in den 1970er- und 1980er-Jahren deutlich zu. Im Universitätsarchiv befinden sich verschiedene Quellen, die die vielfältigen Formen kritischer Selbstreflexion über Werte und Positionierungen in einem politisch wie gesellschaftlich aufgeladenen Diskursraum sowohl auf West-Berliner als auch auf globaler Ebene dokumentieren.
Innerhalb des Lehrbetriebs kam es beispielsweise zu Auseinandersetzungen über bestimmte Formulierungen im Vorlesungsverzeichnis: Während manche eine Beschreibung der argentinischen Gewerkschaftsbürokratie mithilfe – ihrer Einschätzung nach – sachlich gerechtfertigter Adjektive befürworteten, sahen andere darin ideologische Kommentare.
Eine zentrale Frage war zudem, ob – und wenn ja, in welcher Weise – sich Hochschulleitungen oder Gremien, faktisch ohne ein politisches Mandat, öffentlich zur Situation in Südamerika äußern konnten, sollten oder durften. Besonders nach dem Militärputsch in Chile 1973 war das Thema Menschenrechtsverletzungen präsent. Viele Universitätsangehörige zeigten ihre Solidarität mit geflüchteten Studierenden und Wissenschaftler*innen.
Die internationale Zusammenarbeit war – und ist – in ihrer praktischen Umsetzung oftmals eine Herausforderung. Rückblickend stellten Forscher*innen in einem Abschlussbericht etwa für sich fest, sich im Rahmen eines Projekts nicht ausreichend für bedrohte Kolleg*innen in Chile engagiert zu haben. Mitglieder einer Projektgruppe hegten die begründete Annahme, dass sie aufgrund ihrer sicherheitspolitisch als verdächtig eingestuften Forschungsinteressen in Brasilien nicht uneingeschränkt wissenschaftlich hatten arbeiten können. Diese Erfahrungen führten zu einer wichtigen Erkenntnis: Die Freiheit der Wissenschaft ist ein hohes Gut – und keineswegs selbstverständlich.
Weitere Informationen
Aktuelles Forschungsprojekt: Wissenschaftsfreiheit unter Druck - Die Westberliner Lateinamerikastudien im Spannungsfeld des Kalten Krieges (1960er- bis 1980er-Jahre)
Wissen ist Macht
Beitrag der Umweltpolitologin Lena Partzsch, Freie Universität Berlin
Unabhängige Wissenschaft ist unverzichtbar für die Demokratie. Trotz mehr als drei Jahrzehnten internationaler Klimapolitik hat die Menschheit bereits die planetare Grenze überschritten, und die weltweiten Treibhausgasemissionen steigen weiter an. In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft fordern Aktivist*innen die Regierungen daher auf, „die Wahrheit zu sagen“ und vorherrschende (falsche) Erzählungen „richtig“ zu stellen. Gleichzeitig wird der Klimawandel insbesondere im rechten Parteienspektrum geleugnet. Die (Politik-)Wissenschaft muss den schwierigen Spagat hinbekommen, sich nicht vereinnahmen zu lassen und dennoch vorhandene Beobachtungen und Argumente ernst zu nehmen.
In autoritären Staaten dient Wissen in Form simpler Narrative den Eliten zur Manipulation und Ausübung von Macht über die Bürger*innen. Wer nicht einverstanden ist, sagt einfach etwas „Falsches“. Dies gilt nicht nur für Fakten, sondern auch für die Wahl politischer Maßnahmen – von Glühbirnen über Ernährungsweisen bis hin zur Geburtenkontrolle. Es wird als „egoistisch“ konstruiert, wenn Einzelne die Kosten und den Nutzen des Gehorsams für sich abwägen. In der Demokratie dagegen sind Wissensansprüche nicht binär im Sinne von „entweder/oder“. Überzeugungen konkurrieren in einer pluralistischen Gesellschaft miteinander, um Macht für ein gemeinsames Ziel wie den Klimaschutz auszuüben, so variieren beispielsweise Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen von Land zu Land.
Auch die Forschungs- und Bildungspolitik trägt zur Polarisierung der Klimadebatte bei. Bisher wird das Thema vor allem aus der Perspektive der Naturwissenschaften und Technik betrachtet, während die Wirtschaftswissenschaften den gesellschaftlichen Diskurs dominieren. Doch mehr Daten, bessere Modelle und genauere Informationen haben nicht dazu geführt, dass wir die notwendigen Veränderungen erreichen, um innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten zu bleiben. Wissen ist immer auch eine Machtfrage. Wenn vereinfacht oder polarisiert wird, kommt das partikularen Interessen zugute. Gefährlich wird es, wenn Wissen als absolut wahr angesehen und nicht mehr hinterfragt wird. Diese Zusammenhänge besser zu verstehen, ist Aufgabe der Gesellschaftswissenschaften. Sie sind daher essenziell für die Demokratie.
Weitere Informationen
Hochschulautonomie in Zeiten leerer Kassen
Beitrag des Ökonomen Ronnie Schöb, Freie Universität Berlin
Wenn wir über Wissenschaftsfreiheit und die damit verbundene notwendige Autonomie von Hochschulen sprechen, müssen wir auch über Geld sprechen. Wissenschaftlich frei und autonom handeln kann nur eine Institution, die auskömmlich finanziert wird und deren Finanzierung nicht an inhaltliche Bedingungen geknüpft ist.
Die von der Berliner Landesregierung angekündigte Aufkündigung und Neuverhandlung der Berliner Hochschulverträge verdeutlichen jedoch die große Abhängigkeit der Universitäten von der öffentlichen Hand. Die anvisierten Kürzungen der Zuschüsse des Landes Berlins an die staatlichen Hochschulen bedeuten massive Einschnitte mit noch unübersehbaren langfristigen Folgen für die Berliner Hochschullandschaft. Zu Recht setzen sich die Berliner Universitäten dagegen zur Wehr. Dabei wird aber immer implizit davon ausgegangen, dass die Kürzungen staatlicher Zuschüsse zwangsläufig eins zu eins durch Minderausgaben bei den Hochschulen kompensiert werden müssen.
Bund und Länder finanzieren rund 90 Prozent der Hochschulausgaben, und nur etwa zehn Prozent entfallen auf privat bereitgestellte Mittel. Dazu zählen, zumindest in anderen Bundesländern, in geringem Umfang auch Studiengebühren.
Bleibt es bei dieser Aufteilung und führen die Kürzungen des Berliner Senats im gleichen Umfang zu Ausgabenkürzungen an den Hochschulen, so sind davon nicht nur die Beschäftigten betroffen, sondern auch die derzeit rund 170.000 eingeschriebenen Studierenden an den staatlichen Hochschulen Berlins. Budgetkürzungen von rund acht Prozent werden substanzielle Eingriffe in Umfang und Qualität der Lehre nach sich ziehen und auch den Forschungsstandort Berlin stark belasten. Dabei gibt es aus finanzwissenschaftlicher Sicht durchaus Stellschrauben, die Folgen abzumildern.
Warum nicht einmal über Studiengebühren für ein Zweitstudium (gemeint sind nicht die konsekutiven Masterstudiengänge) diskutieren, verbunden mit der Frage, ob eine zweite Berufsausbildung vollständig mit öffentlichen Geldern finanziert werden muss. Warum nicht auch über Studiengebühren für Langzeitstudenten und Nicht-EU-Bürger nachdenken, so wie es beispielsweise in Baden-Württemberg gängige Praxis ist. Das schaffte für die Berliner Hochschulen neue Gestaltungsspielräume und ein wenig finanzielle Autonomie.
Angesichts der gewaltigen finanziellen Herausforderungen ist es an der Zeit, die Hochschulautonomie im Bereich der Einnahmenseite neu zu denken. Hierbei kann die Finanzwissenschaft helfen. Es geht dabei gar nicht darum, Studiengebühren das Wort zu reden, sondern darum, innezuhalten und zu fragen, warum solche Optionen überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen werden und die Frage finanzieller Autonomie in den Verhandlungen mit der Berliner Senatsverwaltung nicht mit aufgenommen wird.
Weitere Informationen
ronnie_schoeb_fu_copy_bernd_wannenmacher.jpg
Verantwortung und ethische Kompetenzen im Tierversuch
Beitrag der Fachtierärztin für Versuchstierkunde und Physiologie Christa Thöne-Reineke, Freie Universität Berlin
In Paragraph 1, Tierschutzgesetz, ist die Verantwortung des Menschen dem Tier gegenüber geregelt. Dort heißt es: Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Den zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren gegenüber ist diese Verantwortung sowohl im Tierschutzgesetz als auch in zahlreichen weiteren Richtlinien und Verordnungen auf nationaler und internationaler Ebene konkretisiert, und diese muss nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit mit der Wissenschaftsfreiheit in Artikel 5.3 des Grundgesetzes und der daraus resultierenden Verantwortung abgewogen werden. Durch die EU-Richtlinie (2010/63/EU) findet zudem das 3R-Prinzip (Replace, Reduce, Refine) von Russell und Burch (1959) Niederschlag in der Gesetzgebung. Das 3R-Prinzip verpflichtet Wissenschaftler*innen, wo immer möglich, auf Tierversuche zu verzichten (Replace), die Anzahl der Tiere so weit wie möglich zu reduzieren (Reduce) und die Belastung der Tiere im Tierversuch so gering wie möglich zu gestalten (Refine). Ein den 3R zugrundeliegendes ethisches „R“ ist die Übernahme von Verantwortung (Responsibility), das die Voraussetzung für die Umsetzung der 3R und weiterer ethischer Prinzipien im Rahmen der Bewertung von Tierversuchen ist. Da die 3R also nur einen Teil der Verantwortung dem Tier gegenüber abbilden, fordert der Gesetzgeber in den Tierversuchsanträgen zusätzlich die Darlegung der ethischen Vertretbarkeit eines Tierversuchs.
Diese Darlegung setzt eine fundierte ethische Grundbildung, eine Ethical Literacy, voraus. Kenntnisse, die bisher nur wenig oder nur unzureichend in den Studiengängen der Tierversuche planenden und durchführenden Wissenschaftler*innen vermittelt werden. Eine ethische Grundbildung in diesen Studiengängen ist essenziell, um einen verantwortungsvollen Umgang mit den durch einen Tierversuch entstehenden ethisch-moralischen Problemen zu gewährleisten. Ebenfalls wichtig ist es, ein entsprechendes ethisches Grundverständnis bei Vertreter*innen der Genehmigungsbehörden und den Tierschutzbeauftragten der Einrichtungen zu fördern. Sucht man nach geeigneten Lehr- oder Weiterbildungsmaterialien speziell zum Thema der ethischen Verantwortung von Wissenschaftler*innen bzw. weiteren Beteiligten, wird deutlich, dass diese sehr allgemein bleiben und keine konkreten Hilfestellungen für den Umgang mit den vielfältigen Fragen der Verantwortung im Kontext der Tierversuche geben.
Hier setzt das vom BMBF geförderte Projekt 3REthicsWeb an. Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer interdisziplinären E-Learning-Plattform, über die eine ethische Grundbildung mit Praxisbezug auf die Situationen im Tierversuch sowie eine Ethik der 3R und der Alternativmethoden vermittelt werden soll.
Weitere Informationen
Dr. Julia Dietrich leitet den Arbeitsbereich Didaktik der Philosophie und Ethik.
Website Univ.-Professorin Dr. med. vet. Christa Thöne-Reineke
christa_thoene-reineke_fu_copy_bernd_wannenmacher.jpg
Regen auffangen, Stadt kühlen – smarte Möbel für nachhaltige Städte
Regenwasser intelligent nutzen: Die modularen Sitzbänke des Start-ups Regenmodule speichern Niederschlag, bewässern Pflanzen und kühlen die Stadt. So entsteht ein nachhaltiges System, das das Stadtklima verbessert, Überschwemmungen reduziert und urbane Räume lebenswerter macht.
Regemodule – Was ist das?
Regemodule entwickelt urbane Möbel, wie modulare Sitzbänke, die Regenwasser speichern und nachhaltig nutzen. Sie sammeln Niederschläge, bewässern Pflanzen und kühlen die Umgebung.
Wie funktioniert’s?
Regenwasserbänke sammeln das Regenwasser und speichern es in Tanks oder Modulen unter der Bank. Das Wasser wird dann langsam freigesetzt, um Pflanzen zu bewässern oder die Luft zu kühlen. Sensoren messen den Wasserstand und steuern die Nutzung. So wird das System autark und hilft, Städte widerstandsfähiger gegen extremes Wetter zu machen.
Was bringt's?
Die Regenwasserbänke verbessern das Stadtklima, entlasten die Kanalisation und machen Regenwasser sinnvoll nutzbar. Sie speichern Niederschlag und geben ihn langsam ab, was Überschwemmungen reduziert und an heißen Tagen die Luft kühlt. Sie versorgen Pflanzen mit Wasser und schaffen so mehr Grünflächen. Als öffentliche Sitzgelegenheiten bieten sie zudem mehr Aufenthaltsqualität. Langfristig fördern sie eine klimaresiliente Stadtentwicklung und sensibilisieren für den nachhaltigen Umgang mit Wasser.
Was wurde bis jetzt erreicht?
Seit der Gründung hat Regenmodule mehrere Erfolge erzielt: 2024 wurde die erste Regenwasserbank in Berlin installiert, weitere folgen in Stuttgart. Das Start-up gewann den Nachhall-Wettbewerb und erhielt das Berliner Start-up-Stipendium. Mit Unterstützung des Stuttgarter Klima-Innovationsfonds startet ein Projekt zur Installation von zehn weiteren Modulen. Zudem entstehen in Zusammenarbeit mit der NABU Gruppe Stuttgart Materialien für Schulen und Kitas.
Wie soll es weitergehen?
Regenmodule soll wachsen und die urbane Infrastruktur nachhaltiger gestalten. Die Produktlinie soll mit Funktionen wie Solarenergie-Nutzung und smarter Sensorik erweitert werden. Langfristig ist eine internationale Expansion geplant, um Städte weltweit klimaresilienter zu machen. Kooperationen mit Kommunen, Bildungseinrichtungen und Umweltorganisationen sollen dabei helfen, Regenmodule als festen Bestandteil der Stadtplanung zu etablieren.
Wer steckt hinter der Idee?
Regenmodule wurde von Philipp Klein, Maximilian Herrmann und Tim Eppler gegründet.Das interdisziplinäre Team aus Design, Stadtentwicklung und Ingenieurwesen entwickelt Lösungen für die urbane Klimaanpassung. Unterstützt werden sie von einem Netzwerk aus Partnern, Forschungseinrichtungen und Förderprogrammen.
Womit hat die Humboldt Innovation unterstützt?
Die Humboldt Innovation unterstützt Regenmodule mit dem Berliner Start-up-Stipendium und im Themencluster „Sustainability and Society“. Dadurch erhält das Team finanzielle Mittel und fachliche Unterstützung. Zudem bietet die Humboldt Innovation Zugang zu einem Netzwerk aus Forschung, Wirtschaft und Stadtentwicklung, das den Austausch und die Weiterentwicklung fördert.
Gibt es die Möglichkeit mitzumachen?
Wer mag, kann durch Kooperationen mit Städten, Bildungseinrichtungen oder Umweltinitiativen unterstützen. Wer finanziell beitragen möchte, kann sich über Förderprogramme oder Partnerschaften beteiligen. Auch bei der Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel durch Teilen in Netzwerken oder sozialen Medien, ist Unterstützung willkommen. Feedback und Ideen aus der Community helfen, das Projekt weiterzuentwickeln.
Aufgezeichnet von Ulrike Schuster