Humboldt-Universität zu Berlin

„Wer studiert schon Archäologie?“

Anneliese Riess (1910-2005) studierte voller Leidenschaft Archäologie und promovierte in Italien. Auf der Arbeitssuche in den USA kam sie zufällig mit der Psychologie in Berührung, absolvierte ein zweites Studium und eröffnete eine eigene Praxis.

 

Anneliese Riess
Abb.: Privat
  • 1910 geboren in Hamburg
  • 1930-1933 Studium der Germanistik und Archäologie in Berlin und Freiburg
  • 1933-1936 Studium in Rom
  • 1936 Promotion in Archäologie
  • 1938 Emigration in die USA
  • 1957 Promotion in Psychologie
  • 2005 gestorben in New York

Kindheit in einfachen Verhältnissen

Anneliese Riess wurde 1910 als jüngstes von drei Geschwistern in Hamburg geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte die Familie in bescheidenen Verhältnissen und zog 1921 nach Berlin um, wo der Vater als Vertreter einer Textilfirma arbeitete. Dort besserte sich die finanzielle Lage langsam und Anneliese Riess begann, sich für Theater und Kunst zu begeistern.

Wechsel von Germanistik zu Archäologie

Anneliese Riess immatrikulierte sich 1930 an der Berliner Universität im Fach Germanistik. Sie genoss die Möglichkeit, in den ersten Semestern die eigenen Interessen auszukundschaften, besuchte Veranstaltungen verschiedener Fachrichtungen von Jura und Medizin bis Kunstgeschichte und entdeckte ihr Interesse für antike Geschichte. Nach zwei Jahren wechselte sie für ein Semester an die Universität Freiburg, wo sie Vorlesungen bei Heidegger hörte und ihren ersten Kurs in Archäologie absolvierte. Die meiste Zeit verbrachte sie allerdings mit Wanderungen im Schwarzwald und am Rhein. Mit einem Freund reiste Anneliese Riess im Sommer 1932 durch Italien. Völlig beeindruckt von den italienischen Kulturschätzen beschloss sie, in Berlin Archäologie zu studieren.

Fortsetzung des Studiums in Italien

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erlebte Anneliese Riess, wie einige ihrer Kommilitonen plötzlich in Uniform in der Universität erschienen. Ein Bekannter nutzte die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz im Mai 1933 zur persönlichen Bereicherung und stopfte sich die Manteltaschen mit Büchern voll. Einmal wollten nationalsozialistische Studenten Anneliese Riess aus der Mensa werfen, aber ihre Freunde stellten sich um sie herum und schützten sie.

Anneliese Riess entschied sich, Deutschland zu verlassen und ihr Studium in Italien fortzusetzen. Im Herbst 1933 kam sie in Rom an, doch da sie noch kein italienisch sprach und auch sonst wenig auf den Auslandsaufenthalt vorbereitet war, fühlte sie sich am Anfang einsam. Aber die Mitarbeiter des Deutschen Archäologischen Instituts halfen ihr, sich in der fremden Stadt zurechtzufinden. Ende 1936 promovierte sie in Rom über den Herakles-Mythos.

Anneliese Riess' Vater war derweil in die USA ausgereist und versuchte dort eine Existenz für die Familie aufzubauen, während die Mutter zunächst in Berlin blieb und dann vorübergehend zu ihrem Sohn fuhr, der 1933 nach Südamerika emigriert war. Anneliese Riess' Schwester Elsa zog als Vertreterin einer Münchner Firma ebenfalls nach Italien.

In Italien unerwünscht

Auch in Italien besaß Anneliese wegen der wachsenden antisemitischen Ausgrenzung keine berufliche Perspektive. In Genf absolvierte sie daher binnen weniger Monate eine Ausbildung zur Baby-Krankenschwester und hielt sich danach in Rom mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser.

Anlässlich eines Staatsbesuchs Hitlers in Rom im Mai 1938 wurde ihr befohlen, zu ihrer Schwester nach Turin zu fahren und sich dort mehrere Wochen lang täglich bei der Polizei zu melden, damit sie, so ihre eigene Einschätzung, in Rom kein Attentat auf Hitler verüben konnte. Danach entschloss sie sich zur Auswanderung in die USA.

Leben in den USA

Im April 1939 erhielt Anneliese Riess endlich das rettende Visum und traf in New York mit ihrem Vater zusammen. Ihre Mutter reiste kurz danach aus Südafrika ein, konnte nach der Reichspogromnacht allerdings nicht mehr nach Deutschland zurückkehren und musste den Familienbesitz dort zurücklassen. Elsa wurde während des Krieges in Süditalien interniert und nach über drei Jahren von der englischen Armee befreit.

Durch ihre Schweizer Ausbildung fand Anneliese Riess in New York schnell Arbeit und lernte zusätzlich Stenographieren und Maschinenschrift, um in Büros arbeiten zu können. Auf diesem Wege lernte sie auch den berühmten Psychoanalytiker Spitz kennen und begann, sich für dessen Forschungen zur Entwicklungspsychologie zu interessieren. Schließlich fasste sie den Beschluss, sich als Psychologin selbständig zu machen und nahm ein zweites Studium auf. 1957 erhielt sie im Alter von 46 Jahren das Doktordiplom in Psychologie und eröffnete eine eigene Praxis. Darüber hinaus lehrte sie auch an der City University in New York.

Trotz ihrer Begeisterung für Psychologie bedauerte Anneliese Riess rückblickend, dass sie nicht Archäologin geworden war. Bis zu ihrem Tod las sie archäologische Fachzeitschriften und besuchte auf Reisen Ausgrabungsstätten.

Sie starb 2005 in New York.

 

 

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