Humboldt-Universität zu Berlin

Neue Baukunst. Berlin um 1800

Worte zur Ausstellungseröffnung, Berlin, 15. März 2007, Alte Nationalgalerie

Zur Eröffnung der Ausstellung „Neue Baukunst. Berlin um 1800“, verehrte Herren Lehmann und Schuster, spricht kein Bauhistoriker, zu dessen Forschungsgebiet Erdmannsdorff, Gilly, Gontard, Langhans und Schinkel zählen. Es spricht auch kein Literaturhistoriker, der über die berühmten Berliner literarischen Salons arbeitet und sich seit Jahren mit Henriette Herz, Rahel Levin oder Dorothea Veit befreund gemacht hat, kein Theaterhistoriker, der sich mit Iffland und dessen viel gerühmten Schilleraufführungen beschäftigt. Es spricht lediglich der Präsident einer Bildungseinrichtung, deren Gründung sich im Berlin um 1800 langsam vorbereitete, um dann im Jahre 1809 nach mancherlei Verwicklungen endgültig zu erfolgen – der seit 1828 nach ihrem könglichen Stifter, dem schweigsamen Friedrich Wilhelm III., und seit 1949 nach den Gebrüdern Humboldt benannten Alma mater Berolinensis. Und er wird versuchen, die in der Ausstellung so kundig vorgeführten Bauten gleichsam zu beleben, wenigstens einige der Berlinerinnen und Berliner, die sie um 1800 bevölkerten, vor die in aller Regel menschenleeren Architekturzeichnungen zu stellen. Wenigstens ein paar der 170.000 Einwohner, die um 1800 in der „Haupt- und Residenzstadt Berlin“ lebten, der neuntgrößten europäischen Stadt nach London, Paris, Neapel, Wien, St. Petersburg, Moskau, Amsterdam und Lissabon. Wenigstens ein paar von denen, die Humboldts Ideal eines freien und autonomen Stadtbürgers entsprachen, jene ‚vielgestaltige’ Zuständigkeit aufwiesen, die Humboldt vom Bürger des klassischen Athen ableitete und auf Spree-Athen übertragen wollte. Und für all’ die übrigen kann ich getrost auf Günter de Bruyns ebenso vergnüglich zu lesendes wie informationsgesättigtes Opus magnum „Als Poesie gut. Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807“ verweisen, das ausweislich seiner Register weit über fünfhundert Personen ein- und vorführt.

Wie wirkte jenes Berlin der Jahre um 1800 auf seine Besucher? Spürte man in der Hauptstadt Preußens etwas von dem, was Reinhard Kosellek „Sattelzeit“ genannt hat? Im Katalog sind die recht pessimistischen Worte des Dessauer Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff abgedruckt, der sich über das „dürre, flache, kalte Berlin“ beklagt, „wo keiner nach dem Wissen fragt als nach der ‚nouvelle du jour’“ und wo überhaupt „des Schwatzens mehr ist als des Tuns“ (53). Aber diese Worte scheinen mir allzu stark von Erdmannsdorffs Zorn über Intrigen wie Müßiggang am Hof geprägt, der über die Umstände seiner aufsehenerregenden Neugestaltungen von Räumen im Schoß Sans Souci und im Berliner Stadtschloß seit 1786 wenig erfreut war. Dabei bescheinigen ihm heutige Architekturhistoriker gerade in diesen Raumschöpfungen höchstes Niveau; Joachim Kuke spricht im Katalog mit Blick auf die Königskammern des Stadtschlosses von einer „Morgenröte der Klassik“, vom „Setzen von Maßstäben auf europäischen Niveau“, vom „Schaffen eines ‚Lokalstils’, der zum ersten Mal eine zeitgemäße und zukunftsweisende ‚vaterländische’ Konnotation bekam“ (61). Man könnte gegen Erdmannsdorffs allzu unfreundliche Worte die vielen Lobeshymnen stellen, mit denen Besucher die Hauptstadt bedachten – mit denen sie beispiele die umfangreichen Neubauten würdigten, die unter dem gewöhnlich so schlecht angesehen Nachfolger Friedrich des Großen, unter Friedrich Wilhelm II., entstanden und die in den letzten Jahren seines Vorgängers entstandene große Wohnungsnot linderten. Vor dem Tode des Königs im Jahre 1797 wurden diverse Bildungsinstitutionen wurden gegründet oder wenigstens reformiert, darunter die Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften, die medizinisch-chirurgische Unterrichtsanstalt und die Tierarzneischule und die 1799 erfolgte Gründung der Bauakademie vorbereitet – in Berlin vollzog sich, obwohl sich die nächstgelegene Universität des Staates noch in Frankfurt/Oder befand, die 1811 geschlossene Alma mater Viadrina, bereits die der zunehmenden Ausdifferenzierung von wissenschaftlichen Disziplinen entsprechende Gründung von disziplinenspezifischen Institutionen. Solche neuen oder reformierten Institutionen blieben auch nicht bei sich, sondern wirkten in die Gesellschaft: So bot die reformierte Akademie beispielsweise seit 1786 Akademieausstellungen an. Gleich nach Amtsantritt richtete der theaterbegeisterte Monarch auf dem Gendarmenmarkt ein Nationaltheater ein, für das er mit großen Vollmachten zehn Jahre später Iffland als Direktor verpflichtete. So, wie Erdmannsdorff untertreibt, übertreibt Georg Forster: „Berlin ist gewiß eine der schönsten Städte Europas“. Die Mitte dazwischen trifft vielleicht am ehesten Tieck, wenn er von der „labyrinthischen Regelmäßigkeit“ der Stadt spricht. Aber um die Straßen und Gebäude ist es mir weniger zu tun – die stellen Ausstellung und Katalog kundig vor. Mir geht es eher um die Humboldtschen freien Stadtbürger, um die intelligenten Köpfe an der Spree, von denen der Germanist Conrad Wiedemann, der Initiator und Leiter eines ambitionierten Projektes zur Berliner Kultur um 1800 mit Recht gesagt hat, es habe wohl damals an keinem Ort in Deutschland eine solche große Zahl davon gegeben haben und sich dafür auf Goethe berufen kann, der 1798 schrieb, hier sei „vielleicht der einzige Ort“, an dem man als Künstler ein ernst zu nehmendes Publikum finden könne.

Wenn wir nun versuchen wollen, die in dieser Ausstellung versammelten Gebäude dieses Berlin um 1800 zu bevölkern, dann fällt der Blick natürlich – schon angesichts der reichen Literatur – auf die Berliner Salons, von denen es Hunderte gab – ist doch „das Berlin der Salons“ zum Schlagwort avanciert und fiel auch dem auswärtigen Besucher auf: Jean Paul schrieb am 12. Januar 1801 aus Berlin an Karoline Herder: „Hier bleib’ ich nicht. – Der Ton hier übertrifft an Unbefangenheit weit den Weimar’schen. Der Adel vermengt sich hier mit dem Bürger, nicht wie Fett mit Wasser, auf welchem dieses immer oben schwimmt und äugelt, sondern sie sind innig vereinigt wie diese durch Laugensalz, woraus Saife entsteht. Gelehrte, Juden, Offiziere, Geheime Räthe, Edelleute, kurz alles was sich an andern Orten (Weimar ausgenommen) die Hälse bricht, fället einander um diese, und lebt wenigstens freundlich an Thee- und Estischen beisammen“. Bei Wiedemann heißt das etwas zurückhaltender „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. In dem von ihm geleiteten und eben schon erwähnten Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, das die Kultur Berlins um 1800 unter dem Titel „Berliner Klassik“ untersucht, wurde, um der großen Zahl von Intellektuellen in den Salons einigermaßen habhaft zu werden, sogar eine „Geselligkeitsdatenbank“ ins Netz gestellt, die laut Einführung „alle Gruppen samt Mitgliedern“ enthält. Für unsere Zwecke lohnt ein Einsatz nicht bei den verschiedenen Gesellschaften der Aufklärungszeit, sondern bei der Gastfreundschaft im Hause Friedrich Nicolais seit 1787; in jenem von Zelter umgebauten und bis auf den heutigen Tag erhaltenen Barockgebäude in der Brüderstraße befand sich damals auch die größte Privatbibliothek Berlins. Wer verkehrte dort? Dem gerade zu Ihnen sprechenden Theologen bereitet es ein nicht geringes Vergnügen, daß aus einer der Geselligkeiten im Hause Nicolai berichtet wird, wie der aus dem Nachbarhause gekommene Berliner Propst Johann Friedrich Zöllner von einem fremden Gast für einen Theaterdirektor gehalten wird (Strube, Sie saßen und tranken am Teetisch, 42) – besser kann man Goethes Diktum über die Zusammenhänge zwischen Pfarrer und Komödiant wohl nicht illustrieren, obwohl Zöllner, der neben Predigten auch „wöchentliche Unterhaltungen über die Erde und ihre Bewohner“, ein „Lesebuch für alle Stände, zur Beförderung edler Grundsätze, ächten Geschmacks und nützlicher Kenntnisse“ und „Ideen über National-Erziehung“ veröffentlichte. Über die Modalitäten der Geselligkeit und insbesondere der Einladungsprozedur im Hause Nicolai berichtete der Enkel: „Ein Gehülfe der Buchhandlung hatte das Nebenamt, darüber ordentliche Listen anzufertigen, welche Freitags dem Principale vorgelegt wurden; er strich die Personen an, die am Sonnabend eingeladen werden sollten, und fast alle Sonntage versammelte ein glänzender Mittagstisch die alten und neuen Gäste. … Die Solidität der Bewirtung war mit anständiger bürgerlicher Pracht gepaart. Als Eigenthümlichkeit wurde bermerkt, daß die Fremden oft von den Nicolaischen ‚heißen Suppen’ und ‚scharfen Messern’ erzählten“.

Es liegt mindestens für den Theologen im Präsidentenamte nahe, vom aufgeklärten Berliner Propst Zöllner auf den reformierten Charitéprediger Schleiermacher zu kommen. Schon deswegen, weil der Theologe 1799 mit seinem „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ die Theorie der romantischen Salons vorgelegt hat, in denen er und viele andere sich damals trafen. In die Salonwelt hatte ihn bekanntlich die schöne Henriette Herz eingeführt, bei der er erstmals für den 30. Dezember 1796 zum Tee eingeladen war und damit eine der Schlüsselfiguren des geselligen Berlin jener Tage kennenlernte – man traf sich in der prächtigen Stadtwohnung des Ehepaars Herz in der Neuen Friedrichstraße 22. Rund anderthalb Jahre nach dem ersten Zusammentreffen ist eine enge Freundschaft zwischen Henriette Herz und – wie ihn die Freunde nennen – Schleier gewachsen, eine Seelenfreundschaft, in einer schwer beschreibbaren Form auch Marcus Herz einbezogen wird – man grübelt öffentlich über die Verhältnisse des Herrn Pfarrer und der verteidigt sich brieflich wie folgte: „Am meisten lebe ich jetzt mit der Herz; sie wohnt den Sommer über in einem niedlichen Hause am Tiergarten, wo sie wenig Menschen sieht und ich sie also recht genießen kann. Ich pflege jede Woche wenigstens einmal einen ganzen Tag bei ihr zuzubringen. Ich könnte das bei wenig Menschen, aber bei in einer Abwechslung von Beschäftigungen und Vergnügungen geht dieser Tag sehr angenehm mit ihr hin. Sie hat mich Italienisch gelehrt oder tut es vielmehr noch, wir lesen den Shakespeare zusammen, wir beschäftigen uns mit Physik, ich teile ihr etwas von meiner Naturkenntnis mit, wir lesen bald dies, bald jenes aus einem guten deutschen Buch, dazwischen gehen wir in den schönsten Stunden spazieren und reden recht aus dem Innersten des Gemüts miteinander über die wichtigsten Dinge. So haben wir es seit dem Anfang des Frühlings getrieben und niemand hat uns gestört. Herz schätzt mich und liebt mich, so sehr wir auch voneinander unterschieden sind“ (30.5.1798). Im selben Brief weist Schleiermacher die Vermutung zurück, „Mann und Frau könnten nicht vertraut sein, ohne leidenschaftlich und verliebt zu werden“ und berichtet, er habe stundenlang über die Vermutung gelacht, „daß Leidenschaft bei meiner Freundschaft gegen die Herz zugrunde läge, daß ich das früher oder später entdecken und daß es mich unglücklich machen würde. Gelacht hat Schleier offenbar gern, beispielsweise über Nicolais anonym veröffentlichen Briefroman „Vertraute Briefe von Adelheid B. an ihre Freundin Julie S.“, der wie Schlegels Lucinde das Verhältnis zwischen Dorothea Veit und Friedrich Schlegel behandelte: „Da“, so schreibt er, „habe ich unaussprechlich gelacht“. Doch nun, meine Damen und Herren, drohe ich in den Berliner Gesellschaftsklatsch um 1800 abzugleiten, wahrscheinlich eine begrenzt gute Idee, wiewohl man gewiß auch über delikate Relationen des Charitépredigers Schleiermacher zur Gattin des lutherischen Pfarrers am benachbarten Invalidenhause sprechen könnte. Doch lieber noch ein paar, im Grunde auch schon angekündigte Bemerkungen zur Theorie des Salons als Klatsch über seine Praxis: „Freie, durch keinen äußeren Zweck gebundene und bestimmte Geselligkeit“ – mit diesem Paukenschlag gegen die Verzweckung der Kommunikation wie gegen ihre Hierarchisierung beginnt Schleiermachers „Versuch“ von 1799, eine kritische Auseinandersetzung mit Adolf Freiherr von Knigges „Über den Umgang mit Menschen“, in dritter Auflage 1790 erschienen. Während Knigge seine Ratschläge für den Umgang sorgfältig nach Stand, Stellung, Geschlecht differenziert: Frauenzimmer, Freunde, Herr und Diener, Hauswirte, schließt Schleiermacher programmatisch solche Differenzierungen mit seinem Votum für den freien, eben unterschiedslosen Umgang aus. Der Beruf banne die Tätigkeit des Geistes in einen engen Kreis, das häusliche Leben werde stets und immer mit denselben geführt, also brauche es den freien Umgang vernünftiger, sich untereinander bildender Menschen: Hier sei der Mensch dem Spiel der freien Spiel seiner Kräfte überlassen und könne sie harmonisch weiterbilden. Schleiermacher wörtlich: „von keinem Gesetz beherrscht, als welches er sich selbst auferlegt, hängt es nur von ihm ab, alle Beschränkungen der häuslichen und bürgerlichen Verhältnisse auf eine Zeitlang, soweit er will, zu verbannen“. Mir läge sehr daran, daß wir diese Sätze nicht gleich von der chronique scandaleuse Berlins um 1800 lesen, sondern als theoretische Reflexion darüber, daß in den Salons die Grenzen der ständischen Gesellschaft, das Reglement des Hofes durchbrochen wurde, durchbrochen war. Schleiermacher war so ehrlich, im unmittelbaren Umfeld der zitierten Sätze darauf hinzuweisen, daß ein solcherart freie Gespräch zwar der sittliche Zweck der freien Geselligkeit sei, diese „nur freilich … in ihrem gegenwärtigen Zustande von diesem Ziele noch ebenso weit entfernt als die Häuslichkeit und der bürgerliche Verein von den übrigen“. Theoretisch darüber zu reflektieren lohne, weil man das Ziel kennen müsse, dem man im Alltag entgegenstrebe: Bilden und Unterhalten, eine – wie Sie dem Antikehistoriker den Ausflug in sein eigentliches Fachgebiet nachsehen möchten – feine Modernisierung des alten Prinzips delectare et prodesse.

Wolf Jobst Siedler hat anläßlich einer Ausstellung über Berlin und Potsdam unter König Friedrich Wilhelm II. die Frage gestellt, ob man eigentlich in Berlin erkannt hatte, welche Stunde auch für die märkische Streusandbüchse nach 1789 geschlagen hatte. Und er hat feinsinnig die Entschuldigung angeboten, daß selbst Goethes berühmtes Diktum über ein militärisches Treffen des Sommers 1792, die den Wendepunkt des ersten Koalitionskriegs markiert, Jahrzehnte später gesprochen worden ist. Man sieht freilich an Schleiermachers „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“, allzumal wenn man sie neben Knigge hält, daß man mindestens in der Neuen Friedrichstraße beim Ehepaar Herz und in Schleiermachers kleiner Dienstwohnung vor dem Oranienburger Tor zehn Jahre nach den Ereignissen in Versailles und Paris sehr wohl wußte, was die Stunde geschlagen hatte und das Programm der politischen Revolution eher in Form einer Salonrevolution inszenierte. Erst nach der Flucht des Königshauses ins ferne Königsberg im Jahre 1806 hat die Berliner Romantik eine Wende ins Politische genommen, kein Wunder, wenn man sich klarmacht, daß der Berliner Adel und das Bürgertum in den zwei Jahren bis 1808 Massen an französischer Besatzung aufzunehmen hatten (man spricht von 12,5 Millionen französischer Militärpersonen) und große Teile von Berlins Kunst- und Kulturgütern für das Musée Napoléon in Paris geraubt wurden, von den drückenden Kriegstributionen einmal zu schweigen. Die Königsfamilie kehrte erst am 23. Dezember 1809 in die Hauptstadt zurück, da war die Alma Mater Berolinensis schon ein paar Monate gegründet. Erste Anregungen zu einer solchen Gründung stammen übrigens von eben jenem Staatsminister Karl Friedrich von Beyme, der auf seinem Gut Steglitz im Jahre 1804 jenes bezaubernde frühklassizistische Schlößchen errichten ließ, das heute nach dem Namen eines späteren Besitzers auch gern Wrangel-Schlößchen genannt wird und eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse neuer Baukunst in Berlin um 1800 darstellt. Die Universität selbst allerdings erhielt anläßlich ihrer Gründung schon aus Gründen der Sparsamkeit kein neues Gebäude, sondern das ehemalige und weitgehend leerstehende Palais des Prinzen Heinrich am Forum Fridericianum, in den Augen vieler Zeitgenossen also einen ziemlich altmodischen, etwas heruntergekommenen Kasten, zudem noch von allerlei Zwischenmietern bewohnt, beispielsweise einer „Anstalt für Pockenbekämpfung“. Aber der Ruhm der neuen Baukunst, die die Architekten der friderizianischen Epoche mit einem Schlag ziemlich alt aussehen ließ, verblaßte auch schnell wieder. Nach der ersten Renovierung des barocken Prinzenpalais in den Jahren 1836 bis 1846 rief der Theologieprofessor de Wette berühmte und vielzitierte Worte über die Heimstatt der Friedrich-Wilhelms-Universität Unter den Linden aus: „Welch ein herrliches Gebäude! Von welch herrlichen Gebäuden umgeben! Es muß eine Lust sein, da zu lesen!“.

Nun habe ich wieder über die Alma Mater Berolinensis gesprochen und den Namen der Gebrüder Humboldt nicht genannt. Das sollte ich eigentlich nicht tun. Vor kurzem notierte ein prominenter und dazu leicht erregter Wissenschaftsjournalist in einer Berliner Tageszeitung seinen Unmut darüber, daß der Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin in der Öffentlichkeit beständig über Schleiermacher reden würde und nicht über Humboldt, fügte aber die leicht versöhnliche Bemerkung an, immerhin hätte ich ja noch nicht die Umbenennung meiner Universität in „Schleiermacher-Universität“ vorgeschlagen. Natürlich liegt es mir fern, die Bedeutung der Gebrüder Humboldt zugunsten anderer Gründerväter der Berliner Universität zu verkleinern – und so füge ich die Beobachtung an, daß Wilhelm von Humboldts spätere Sprachtheorie der Verständigung vermutlich doch auch, wie Schleiermachers Theorie des geselligen Betragens, ein Produkt des Dialogs und der Mehrsprachigkeit in den gelehrten Salons der Stadt Berlin um 1800 ist – schließlich gehörte auch Humboldt in den Salon der Henriette Herz, die beiden sagten zeitweilig zueinander „Du“ und überlegen, sich Briefe in hebräischer Schrift zu schreiben. „Oh, Sie gute, liebe Henriette! Ich kann den Namen nicht genug wiederholen, der meinem Namen so über alles, so unendlich mehr als jeder andere teuer ist und ewig sein wird“. Allein: Für die Auslegung Humboldtscher Sprachtheorie gibt es in dieser Stadt ungleich kompetentere Kollegen und so komme ich – dem zornigen Journalistenvotum zum Trotz – noch einmal auf Schleiermacher zurück. Der warf in einer die Veröffentlichung seines Versuchs begleitenden Tagebuchnotiz dem Freiherrn von Knigge vor, dem geselligen Ton lediglich funktionalen Stellenwert zuzumessen und nicht seinen Eigenwert anzuerkennen (Nowak, Frühromantik, 269). Wenn der Universitätspräsident es richtig sieht, liegt ein wesentlicher Eigenwert einer Vernissage eben darin, sich im geselligen Ton vor den ausgestellten Modellen, Bildern und Zeichnungen Berliner Bauten um 1800 zu unterhalten. Da wäre es gewiß nicht recht, den natürlichen Trieb zu solcher freien Unterhaltung weiter zum Zuhören zu verzwecken – Schleiermacher hätte das jedenfalls nicht gefallen. Vielen Dank.

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität