Sebastian Huhnholz
Philosophische Fakultät III, Institut für Sozialwissenschaften
Zusammenfassung der Masterarbeit
Die Arbeit widmet sich der Frage, welche vom etablierten Raumordnungsmuster territorial-institutionalisierter Flächenstaatlichkeit abweichenden politischen Raumpraktiken der transnational verfasste Dschihadismus taktisch, strategisch und ideologisch warum verfolgt, und welche Konstellationen ihn dabei begünstigen. Herangezogen werden dafür transdisziplinäre Kombinierungen von politischer Theorie und Ideengeschichte, politischer Geographie, empirischer Sozial-, Friedens- und Konfliktforschung, internationalen Beziehungen, Ethnographie und islamischer Ideengeschichte.
Der Dschihadismus ist eine besondere Strömung des
sunnitischen Fundamentalismus. Organisatorisch sind dschihadistische
Vereinigungen ein transnationales,
multikulturelles und entterritorialisiertes Produkt kultureller Entfremdung außerhalb
muslimisch-arabischer Lebenswelten. In ihrer Gestalt kulminieren also viele
bislang ungelöste Probleme einer globalisierten, Kulturen nivellierenden und Staatlichkeit erodierenden
Krisenkonstellation beinahe schon idealtypisch. Dschihadisten wurden häufig in
westlicher Diaspora bzw. im Exil radikalisiert, wo sie mit unmuslimischen Mehrheiten konfrontiert sind
und wo sich ihr Ori-
entierungsbedarf in Ermangelung religiöser Autoritäten in einem
individualistisch konstruierten Patchwork-Islam ausdrückt. Es fußt daher die dschihadistische
Leitorganisation al-Qaida auf einer Großraumideologie, wenn sie sich in einem ähnlichen
Wartestand wähnt, wie sie der Prophet Mohammed einst im Exil von
Medina vorfand – von wo aus er
bekanntlich das Zentrum Mekka stürmte, um ein religionspolitisches Großreich zu
schaffen.
Die politische Ratlosigkeit gegenüber dem so beschreibbaren Dschihadismus zeigt sich darin, dass durch den „war on terror“ just jene asymmetrischen Transnationalisierungsgefüge, ja ein wahrer Dschihad-Tourismus eigendynamisch begünstigt werden, die einst Gründungsanlass dschihadistischer Organisationen waren. So liegt die derzeitige Unterminierung staatlicher Gewaltmonopole durch imperiale Antiterrorkriegführung geradewegs im Interesse dschihadistischer Akteure. Die Kapazitäten des auf politische Symmetrie geeichten, westfälisch-institutionellen Territorialstaates geraten zwischen diesen beiden asymmetrisch komplementären Raumdurchdringungsmodi zunehmend unter Druck. Entterritorialisierung darf daher nicht vernachlässigt und nicht mit Enträumlichung verwechselt werden, will man die nächsten vom Raum ausgehenden Gefahren verstehen.
Lebenslauf
Wissenschaftlicher Werdegang
2000
Allgemeine Hochschulreife
2002-2005
Bachelorstudium der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität
zu Berlin (Abschluss 1,1)
2005
Studienaufenthalt in Israel und den
Palästinensischen Gebieten für die Anne-Frank-Schule,
Gütersloh, und die School of Hope, Ramallah; gefördert durch das
ASA-Programm der InWEnt gGmbH Deutschland sowie durch die Stiftung
Begegnung. Deutsch-Palästinensisches Jugendwerk
2005-2008
Masterstudium der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu
Berlin (Abschluss 1,2)
2006-2008
stud. Hilfskraft am Lehrstuhl Münkler, Theorie der
Politik, Institut für Sozialwissenschaften,
Humboldt-Universität zu Berlin
seit 2009
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich 644
„Transformationen der Antike“; Teilprojekt
A11 „Imperiale Deutungsmuster: Das Imperium Romanum als
politische Reflexionskategorie“
1999-2009 (Auswahl)
diverse ehrenamtliche Tätigkeiten, zuletzt
Mitbegründer der Berliner Hochschulgruppe des
Projekts ArbeiterKind;
in 2009 wiederholt wissenschaftlich
beratend tätig für die Herbert Quandt-Stiftung;
seit Sommersemester 2009 Lehrbeauftragter an der
Humboldt-Universität zu Berlin
Publikationen (Auswahl)
„,Zwischen Gütersloh und Ramallah.’ Eine qualitativ-explorative Studie zum SchülerInnenbegegnungsprogramm der Anne-Frank-Schule, Gütersloh, und der Schule der Hoffnung, Ramallah, zwischen 1998 und 2004“ (unter Mitarbeit von L. Spreckelsen; Berlin, Hamburg, Gütersloh (i.E. 2009))
„Dschihadistische Raumpraxis. Raumordnungspolitische Herausforderungen des militanten sunnitischen Fundamentalismus“ (überarbeitete und erweiterte monographische Publikation der Masterarbeit (i.V. 2009))
„Amnesie und Antizipation. Probleme von Nachkriegsordnungen in der politischen Theorie und Ideengeschichte, in: Behemoth. A Journal on Civilisation, April 2010, (gemeinsam mit Karsten Fischer, i.V.)