„Die Widersprüchlichkeit der Moderne: Salon de Paris und Édouard Manet“
Für ihre Masterarbeit am Institut für Kunst- und Bildgeschichte wurde Ana Nasyrova mit dem Humboldt-Preis 2023 ausgezeichnet.
Die Masterarbeit widmet sich dem Pariser Salon (Salon de Paris), jener staatlichen Gruppenausstellung, die seit ihrerGründung 1787 das Kunstleben in Paris definierte und im Laufe von fast 200 Jahren ein fester Teil der kulturellen Identität Frankreichs geworden war. In der kanonischen Geschichtserzählung tritt der Salon mit der Einführung des Salondes Refusés 1863 in den Hintergrund, wobei seine Geschichte ab diesem Moment auf die Beschreibung der Auseinandersetzung zwischen dem Modernismus und der akademischen Tradition reduziert wird. Die vorliegende Untersuchung stellt nun aber den Pariser Salon in den Mittelpunkt und umfasst die letzten 20 Jahren seiner Existenz unter staatlicher Verwaltung. Die Masterarbeit setzt sich das Ziel, die politischen, sozialen und ökonomischen Ereignisse und Reformen in und außerhalb des Salons nachzuvollziehen, um erstens die Ursachen des Prestige-Verlusts der Ausstellung und ihrer Entstaatlichung 1881 festzustellen, und zweitens die fiktive, aber weit verbreitete Vorstellung von der Konfrontation zwischen den Künstler:innen des Modernismus und dem Salon am Beispiel seiner Beziehung zu Édouard Manet infrage zu stellen.
Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut und untersucht die Zeit von 1859 bis 1881, in welcher der Salon die Auswirkungen der rasanten Stadt-Modernisierung, des politischen Regime-Wechsels und des Übergangs zu den Normen der Industriegesellschaft bewältigen musste. Zwischen 1859 und 1882 bewirbt sich Manet für insgesamt 19 Salonausstellungen, in denen, mit wechselndem Erfolg und oft durch nicht nachvollziehbare Gründe, 27 von insgesamt 41 seiner eingereichten Werke zugelassen wurden. In dieser Arbeit werden die Entscheidungen des Salons zu Manet als symptomatisch für seine inneren Prozesse und Krisen gelesen. Die Untersuchungsgrundlage bilden in erster Linie die Dokumentation und Ausstellungskataloge des Pariser Salons, zeitgenössische Salon-Kritiken und Presseberichte sowie die Forschungsergebnisse zur Kunst-, Politik- und Sozialgeschichte Frankreichs des 19. Jh. in französischer, deutscher und englischer Sprache.
Der Arbeit ist es gelungen, das Maß der politischen Instrumentalisierung des Salons einerseits und seiner steigenden Abhängigkeit vom Kunstmarkt und der öffentlichen Kritik andererseits anhand der Werkanalyse und Untersuchung der Ausstellungspläne nachzuweisen. Es wird hervorgehoben, dass die Vorstellung zum Bedeutungsverlust des Pariser Salons aus Mangel an Interesse für die Institutionsgeschichte entsteht. Die Entstaatlichung der Ausstellung gab der Institution die Möglichkeit, das seinen Ausstellungen zugrunde liegende und nicht mehr lebensfähige Konzept des Ancien Régime an die Bedingungen des modernen Kunstmarkts anzupassen, was die Existenz des jährlichen Salon des ArtistesFrançais heutzutage beweist. Es wird behauptet, dass die unregelmäßige Zulassung der Werke Manets im Salon des Zweiten Kaiserreichs und seine Erfolge im Salon der Dritten Republik die Unsicherheiten der Institution in der eigenen Rolle und eigenen Botschaft zur Rolle der Kunst in der französischen Gesellschaft ablesen lassen und die verbreitete Behauptung der Konfrontation zwischen Modernismus und Akademismus widerlegen. Die vorliegenden Ergebnisse bilden den Ausgang weiterer Forschung zur Salon-Geschichte sowie die methodische Grundlage zur Untersuchung anderer staatlicher Gruppenausstellungen, und setzen überdies den umfangreichen Forschungsstand zu Manet in eine neue Perspektive.