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Lebhafte Podiumsdiskussion im Humboldt Labor: (Um-)Brüche - die Humboldt-Universität nach 1990

Wie war es vor 35 Jahren an der HU, als Menschen in der DDR auf die Straße gingen, um für Freiheit, Gerechtigkeit, einen Rechtsstaat und andere universelle Werte zu demonstrieren? Erfasste der „Wind of Change“ die Universität, und in welche Richtung entwickelte sie sich nach dem Mauerfall am 9. November 1989? Diese Fragen diskutierte Gabriele Metzler, HU-Historikerin und Vorsitzende der Historischen Kommission der HU, mit Zeitzeugen und Publikum am 16. Oktober im Humboldt-Labor.

Am 15. September 1989 beging die Humboldt-Universität ihre Immatrikulationsfeier traditionell im Palast der Republik. Der damalige Prorektor stimmte die Studierenden auf einen „schönen, aber beschwerlichen Weg“ ein, wie Gabriele Metzler auf der Podiumsdiskussion „(Um-)Brüche - die Humboldt-Universität nach 1990“ aus der SED-Zeitung „Neues Deutschland“ zitierte. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, wie schnell diese Worte an Bedeutung gewinnen würden. Zum Zeitpunkt der Immatrikulationsfeier hatten schon viele Menschen die DDR verlassen und waren über Ungarn auf dem Weg Richtung Westen. Dort war der eiserne Vorhang zu Österreich zwar schon gefallen, aber der Übergang in den Westen gestaltete sich schwierig. „Ich verfolgte die Situation im Fernsehen und war sehr beunruhigt, ich hatte auch Angst, dass meine Tochter bei den Ausreisewilligen dabei sein könnte“, erinnerte sich die Soziologin Hildegard Maria Nickel, heute emeritierte Professorin und damals noch wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HU. „Für mich war es außerdem sehr irritierend, dass an der Universität in der Roten Woche kein einziges Wort über die Situation im Land verloren wurde. In dieser Einführungswoche ging es immer um die aktuellen politischen Debatten.“ Ulrich Miksch, der Anfang der 1990er Jahre als studentischer Vertreter in Universitätsgremien bei der Neugestaltung der Universität mitwirkte, erinnerte sich an das Gelächter seiner Kommiliton*innen in der Physik, als zu Semesterbeginn Namen von Studierenden aufgerufen wurden, die gar nicht da waren, sondern – so stand zu vermuten – bereits im Westen. 

Die erste freie Zeitung erschien an der HU 

Doch auch wenn die Geschehnisse im Land lange offiziell totgeschwiegen wurden, so rumorte es auch an der Universität. „Bei einer Diskussion an der HU am 17. Oktober, zu der die FDJ eingeladen hatte, wurde darüber diskutiert, die FDJ abzusetzen und einen unabhängigen Studentenrat zu gründen“, berichtete Miksch. Bereits am 17. November erschien die erste freie Zeitung der HU – und der gesamten DDR – unter dem Titel „Unaufgefordert“. Sie wird auch heute noch an der HU publiziert. Die erste Ausgabe wurde heimlich in Westberlin gedruckt. Die Öffnung der Mauer am 9. November hatte das – wie vieles andere, was nun in Bewegung kam – möglich gemacht. Die Universität war im Aufbruch, ein runder Tisch wurde ins Leben gerufen, es fand Austausch mit den Universitäten, Bibliotheken und anderen Institutionen im Westteil der Stadt statt. 

Verpasste Reformen durch schnellen Weg zu Einheit

„Die Vorstellung, die DDR durch ihre eigenen Bürger zu verändern, schien sich zunächst zu erfüllen, doch die rasche Wiedervereinigung ließ kaum Raum für umfassende Reformen“, erklärte Nickel. Bei den freien Wahlen zur Volkskammer im März 1990 hätte eine große Mehrheit für die rasche Vereinigung gestimmt; das habe die Reformer*innen in der DDR geschwächt. Dennoch sieht sie den Reformprozess nicht als vollständig gescheitert an, das zeige auch ihr eigenes Beispiel. Die Wissenschaftlerin ist 1989 Mitbegründerin des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung gewesen, das heute als Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung weiter an der HU besteht. 

Hochschulleitungen versuchten Dominanz zu sichern

Der Historiker Mitchell Ash schaut aus persönlicher und wissenschaftlicher Perspektive auf die tiefgreifenden Veränderungen in Ostdeutschland ab 1989. Bereits lange vor dem Mauerfall studierte er in Westberlin und kannte auch Ostberlin durch Besuche per Tagesvisum. Heute ist er einer der führenden Expert*innen für die deutsche Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. „Das Wort Erneuerung hat im DDR-Zusammenhang unterschiedliche Bedeutungen, zum einen, um den Demokratieprozess um 1989/90 zu beschreiben. Von Erneuerung sprachen aber auch die Hochschulleitungen, die versuchten, ihre eigene Dominanz zu sichern.“ Dass die Wiedervereinigung so rasch vollzogen wurde, sei keineswegs vorherzusehen gewesen. „Niemand hatte erwartet, dass es so schnell gehen würde“, betonte der emeritierte Professor der Universität Wien. Ursprünglich war ein Zeitraum von zehn Jahren angedacht, der sich jedoch in der innenpolitischen Diskussion und der nicht abebbenden Fluchtbewegung von Ost nach West immer weiter verkürzte. „Es gab zudem außenpolitischen Druck“, fügt er hinzu, „denn es stellte sich die Frage, was passieren würde, wenn Gorbatschow nicht mehr an der Macht wäre.“

Entlassungen hatten vor allem strukturelle Gründe 

Wie in anderen Bereichen auch vollzog sich die deutsche Wiedervereinigung im Wissenschafts- und Hochschulbereich durch eine strukturelle Anpassung von Ostdeutschland an Westdeutschland. „Dabei war nicht so ganz klar, ob unter die im Einigungsvertrag verankerte Abwicklung von Staatseinrichtungen auch die Universitäten fielen“, sagte Ash. Darüber wurde auch vor Gericht gestritten. Die Urteile fielen unterschiedlich aus. Auch wie es den einzelnen Fächern und den Mitarbeitenden in Forschung, Lehre und Verwaltung an Universitäten erging, war am Ende sehr unterschiedlich. „Manche Disziplinen wurden ganz abgewickelt, andere zu 50 oder 20 Prozent. Die Bilanz ist gemischt“, erklärt Ash. Er räumte auch mit einem gängigen Vorurteil auf. „Die meisten Entlassungen von Mitarbeitenden hatten nicht politische, sondern strukturelle Gründe. Anders als häufig behauptet, habe nur bei einem kleinen Teil der Mitarbeiter*innen ihre Stasivergangenheit den Ausschlag gegeben, sie zu entlassen.“

Autorin: Ljiljana Nikolic