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Nachwuchs für Bioinformatik

Prof. Dr. Nils Blüthgen experimentiert und modelliert. Es geht dabei um Mechanismen, die in der Onkologie eine wichtige Rolle spielen
Dr. Nils Blüthgen

Prof. Dr. Nils Blüthgen. Abbildung: Andreas Süß

Ein glücklicher Zufall hat Nils Blüthgen auf seinen Forschungsweg gebracht: Nachdem er sich im Studium zunächst mit Festkörperphysik beschäftigt hatte, wurde er auf eine Hilfskraftstelle in der theoretischen Biologie an der Humboldt-Universität aufmerksam. „Ich bekam die Stelle und merkte – die Mischung aus Mathematik und Biologie liegt mir. Schön theoretisch, dennoch angewandt“, erinnert sich der Professor für Computational Modelling in Medicine an der Charité und am IRI Life Sciences.

Während seiner Promotion am Institut für Biologie baute Blüthgen Computermodelle biochemischer Prozesse, merkte aber schnell, dass er für seine Arbeit mehr Vertrautheit mit der experimentellen Seite braucht. Um zu lernen, die Experimente selbst durchzuführen, die den Computermodellen zugrunde liegen, und um sie später auch anzuleiten, zog Blüthgen als Postdoc erstmal in ein Labor am Bernstein Center for Computational Neuroscience.

Früher Crashtests, heute Simulationen

Heute wird in seiner Arbeitsgruppe in ständigem Wechsel experimentiert und modelliert. Über Experimente werden Computersimulationen von biologischen Systemen parametrisiert. Diese Simulationen vereinfachen einerseits das Verständnis von Mechanismen und ermöglichen andererseits deren präzise Manipulation. Wie reagiert das System auf Störungen? Erkenntnisse aus dem Computermodell können dann wiederum im biologischen System selbst, in der lebendigen Zelle etwa, auf die Probe gestellt werden.

Der Wissenschaftler zieht zur Illustration die Automobilindustrie heran: „Früher standen Crashtests im Mittelpunkt der Sicherheitsoptimierung. Heute sind es Simulationen, die auf der Basis von Crashtests gebaut werden und schneller und akkurater aufzeigen, wo es hinkt.“

Blüthgens 15-köpfige Arbeitsgruppe untersucht nach diesem Prinzip hauptsächlich Signalketten, die Zellproliferation und Zellüberleben kontrollieren – Mechanismen, die in der Onkologie eine wichtige Rolle spielen. In einer Studie wurde beispielsweise erforscht, warum ein bestimmtes Medikament für die Bekämpfung von bösartigen Tumoren nicht funktioniert. Dieses Medikament greift zielgerichtet in ein für viele Krebsarten wichtiges Signalnetzwerk ein, um es zu unterbrechen und das Tumorwachstum aufzuhalten. Aber irgendwie scheitert es.

Translationale Forschung

Mithilfe von Experimenten hat Blüthgens Gruppe das Signalnetzwerk am Computer simuliert und analysiert, wie die Signalwege auf eine Störung reagieren, die so wirkt wie das Medikament. Erkenntnis: Das Signalnetzwerk ist komplexer als gedacht. Die Störung durch das Medikament aktiviert eine Rückkopplungsschleife, die über andere Wege die Netzwerkfunktion wiederherstellt. Das erklärt die Wirkungslosigkeit des Medikaments. Daraufhin testeten Blüthgen und Team die gleichzeitige Störung von Signalweg und Rückkopplungsschleife. Im Modell funktionierte es, das Signalnetzwerk so zu inhibieren. Also zurück ins Labor – und siehe da, dort gelang es auch.

Die Arbeitsgruppe forscht also im Spagat zwischen Grundlagen- und kliniknaher Forschung. Eine Mitarbeiterin nimmt regelmäßig an molekularen Tumorkonferenzen an der Charité teil, auf denen Therapien für Tumorpatienten aufgrund molekularer Daten empfohlen werden. Die Nachwuchswissenschaftlerin arbeitet an einer Software, die bei der Therapieplanung helfen soll. Ihre Position zwischen Charité und HU ermöglicht es Blüthgen und seiner Gruppe, ihre Forschung so unmittelbar ins Klinische zu übersetzen. Im Fachjargon heißt das translationale Forschung.

Wohlfühl-Atmosphäre auf dem Campus Nord

Die Gruppe arbeitet im Leonor-Michaelis-Haus, auf einem renovierten Flur samt Büros, Seminarraum, Labor und Wintergartenoffice. Nils Blüthgen fühlt sich hier wohl: „Der Campus Nord ist mitten in der Stadt, wirkt aber wie ein Bauernhof.“ Er freut sich, dass nach einer Bau-und Umbruchsphase so viel los ist auf dem Campus, genießt den regen Austausch zwischen den Arbeitsgruppen und die geteilte Infrastruktur.

Zurzeit wendet sich Blüthgen dem Ausbau der Nachwuchsförderung im Bereich Bioinformatik durch das „Joint Lab Bioinformatics“ zu, wo die Datenanalyse im Mittelpunkt stehen wird. „Es wird experimentell immer leichter, riesige Datenmengen zu erheben. Wer aber die komplexen Datenanalysen beherrscht, dem stehen alle Türen offen.“

Autorin: Lena Walther

Über das „Joint Lab Bioinformatics“

Die Bioinformatik gehört zu den Schlüsseldisziplinen des 21. Jahrhunderts: Der Einsatz moderner Hochdurchsatztechnologien in den Lebenswissenschaften erzeugt riesige Datenmengen, was den Bedarf an Auswertung, Zusammenführung und Interpretation durch bioinformatische Algorithmen und Computermodelle immens steigert. Zum Beispiel ist es nur durch die Anwendung bioinformatischer Methoden möglich, die generierten Datenmassen für die Präzisionsmedizin zu nutzen – etwa zur Entwicklung von maßgeschneiderten Krebstherapien anhand der molekularen Merkmale jedes individuellen Tumors.

Vor diesem Hintergrund fördert die Stiftung Charité den Ausbau der Kooperation in der Bioinformatik in Berlin mit dem „Joint Lab Bioinformatics“, das die Charité - Universitätsmedizin Berlin und die Humboldt-Universität unter der Koordination des IRI Life Sciences derzeit errichten. Das Lab wird die bioinformatische Expertise auf dem Campus Nord bündeln und ausbauen. Es geht vor allem darum, die Aus- und Weiterbildung in der Bioinformatik zu organisieren, beispielsweise Graduiertenprogramme zu etablieren, und für Bioinformatik- Nachwuchsgruppen Infrastruktur und Anbindung zu gewährleisten. Federführend sind Prof. Dr. Nils Blüthgen, Prof. Dr. Hanspeter Herzel (beide Charité) und Prof. Dr. Uwe Ohler (Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin) für das Projekt zuständig.

Das „Joint Lab Bioinformatics“ ist im IRI Life Sciences im Leonor-Michaelis-Haus auf dem Campus Nord untergebracht und soll im Frühjahr 2017 eröffnet werden.

Weitere Informationen

Kontakt

Prof. Dr. Nils Blüthgen
IRI for the Life Sciences
Computational Modeling in Medicine                                    

Tel: 030 2093-8924
nils.bluethgen@charite.de