Fünfzigjähriges Jubiläum der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Man reibt sich verwundert die Augen, lieber Landesbischof Fischer, liebe Pröpstin von Kirchbach, lieber Prälat Felmberg, liebe Schwestern und Brüder, meine Damen und Herren - erst fünfzig Jahre soll sie alt sein, die EZW, die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen? Ich frage das nicht als Kirchenhistoriker, um auf diese Weise subtil anzudeuten, daß es einen Vorläufer der Zentrale gab, die 1921 gegründete und 1937 gewaltsam geschlossene "Apologetische Zentrale", die ihre Wurzeln in den volksmissionarischen Bewegungen der Diakonie und damit letztlich im Evangelisationsprogramm Wicherns hatte - nein, ich frage nicht, ob die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen wirklich erst fünfzig geworden ist, weil ich Ihnen unter der Maske eines Grußwortes eine Vorlesung über die Geschichte einer interessanten Berliner Theologischen Institution und ihre ursprüngliche Halbdistanz zur Theologischen Fakultät der Universität halten wollte, die sich erst reduzierte, als der Berliner Privatdozent Walter Künneth 1932 die Leitung der Zentrale übernahm und sie in enger Arbeitsgemeinschaft mit Albertz, Lilje und Niemöller in den Dienst des Kampfes der Bekennenden Kirche stellte. Nein, für solche kirchengeschichtlichen Exkurse in die kirchliche Zeitgeschichte gibt es berufenere Kollegen als den armen Altkirchler und Patristiker und das ist auch nicht der Grund meiner Verwunderung - verwundert reibe ich mir mindestens die Augen, weil in diesen fünfzig Jahren eine so große Zahl von ungemein hilfreichen, höchst informativen, gelehrten und zugleich doch zu präziser Urteilbildung anleitenden Publikationen vorgelegt worden ist. Über 200 EZW-Texte, viele Hefte des Materialdienstes, aber eben inzwischen auch ein Internet-Lexikon und vieles andere mehr. Und das alles in nur fünfzig Jahren. Dafür kann und muß man dankbar sein, ich werde gleich noch näher sagen, warum besonders.
Man reibt sich zugleich aber auch verwundert die Augen, lieber Landesbischof Fischer, liebe Pröpstin von Kirchbach, lieber Prälat Felmberg, liebe Schwestern und Brüder, meine Damen und Herren - weil es schon fünfzig Jahre sind. Denn es wird ja niemand bestreiten, daß in den sechziger Jahren nicht nur das alte Wort "Apologetik" aus dem Namen der Vorgängerorganisation keinen guten Klang mehr hatte. In einem instruktiven Artikel hat Horst Pöhlmann alle diese Schwierigkeiten beschrieben - und auch der Begriff "Weltanschauung" mutete spätestens zehn Jahre nach der Etablierung der Zentralstelle seltsam antiquiert an, nicht zuletzt deswegen, weil für nicht wenige an den Universitäten es auch im Westen und erst recht im Osten nur eine einzige wahre, wissenschaftliche Weltanschauung gab und da meine ich jetzt nicht das Christentum, das Judentum oder welche Religion auch immer. Schon fünfzig Jahre - das meint: Wir schulden denen Dank, die in den großen Debatten um die kirchlichen Finanzen und gesamtkirchlichen Akzentsetzungen des bundesdeutschen Protestantismus seit den siebziger Jahren an der Zentralstelle festgehalten haben, nicht nur, aber eben immer auch im Sinne dieser genannten, wunderbaren Arbeitsmaterialien, ich weiß, wovon ich spreche, nicht zuletzt auch deswegen, weil meine Frau seit vielen Jahren als Religionslehrerin arbeitet, inzwischen an einer evangelischen Bildungseinrichtung hier in Berlin, deren Religionsunterricht auch viele Konfessionslose und Muslime besuchen. Sie hatten, um es noch etwas direkter zu sagen, viele einschlägige wichtige Themen schon deutlich vor der deutschen Universitätstheologie im Blick und das ist nun wirklich nicht selbstverständlich.
Ich will das, was ich gerade angedeutet habe, zum Schluss noch ein wenig als Vorsitzender der Theologischen Kammer der EKD ausführen - Sie haben die Freundlichkeit besessen, mich heute um das erste Grußwort in dieser Funktion nach der Bestallung durch den Rat zu bitten. Uns fehlt, meine Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder, eine elementare, nicht schulgebundene Theologie, eine klare, präzise, allgemeinverständliche Theologie zu den großen Fragen der Religion in der Gegenwart. Warum musste Jesus sterben? Glauben wir alle an den einen Gott? Und so weiter und so fort. Wir geben an den Universitäten positionale Antworten, Härle, Herms, meinetwegen auch Ebeling, Pannenberg und so weiter und so fort (meinen akademischen Lehrer Jüngel nenne ich in diesem Zusammenhang nicht, denn er hat einmal einen Beitrag unter dem Titel "Meine Theologie" mit dem unvergeßlichen Satz begonnen: "Meine Theologie - da stock ich schon". Aber das ist doch eher die Ausnahme in unserem, mit Verlaub manchmal recht eitlen Betrieb). Wir vermitteln dagegen meist unsere (oder eben auch: meine) Antworten den Studierenden. Aber nur wenige Kollegen wissen, daß die zentrale Aufgabe darin besteht, eine aus den biblischen Texten erwachsende und Zeitgenossen direkt ansprechende nichtpositionale, elementare, elementarisierende Theologie zu entwerfen, die zugleich für den Christenmenschen und die Nichtchristen verständlich ist, den Atheisten ernst nimmt und trotzdem die zentrale Weichenstellungen des christlichen Glaubens nicht verschweigt. Elementarisierend - nicht simplifizierend, je nach Anlaß auch ohne den schützenden Mantel der traditionellen Begrifflichkeit, den ich als Kirchenhistoriker doch eigentlich so liebe, vor dem Forum nicht nur der Gebildeten unter den Verächtern, um einen früheren Friedrichstadt-Pfarrer zu zitieren, elementar, weil - wie es bei Thomas von Aquin heißt - die Wahrheit einfach ist.
Nun ahnen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, warum ich heute so gern die Einladung angenommen habe, ein Grußwort zu sprechen: Weil die EZW uns ein Vorbild bei diesem Geschäft sein kann, bei diesem Geschäft unterstützt, uns zu diesem Geschäft herausfordert - in der Kammer, an den Universitäten, in der Kirche. Und dafür ist Ihnen in der EZW herzlich zu danken und für die kommenden fünfzig Jahre Gottes Segen zu wünschen. Ja, um Geistesgegenwart geht es, lieber Herr Kollege Hempelmann - und wir wissen ja noch, um wes' Geistes Gegenwart es da geht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität